Full text: Lesebuch für Mädchenfortbildungsschulen und ähnliche Anstalten

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Ost oder West, daheim das best'. 
„Hier sieht es gelungen aus!" sagte sie, „nichts als Dächer und Dächer und 
Schornsteine und Schornsteine!" Als Guschen das sagte, siel es mir erst selber 
auf. „Ja, das ist wahr, Leute sieht man beinahe gar nicht bei uns, aber desto 
mehr Schornsteine. Guschen fand es bald sehr schön bei uns. „Einige Dächer sind 
rot, die sind gewiß neu. Die schimmeligen grauen da drüben müßten mal abgeseift 
werden! Guck, da kommt Rauch aus den Schornsteinen! Blauer, gelber, schwarzer 
Rauch! Das hab' ich auch nicht gewußt, daß der Rauch verschiedene Farben hat! 
Guck, wie das wirbelt! Sb wohl aus solchen Schornsteinen mit solchem schwarzen 
Rauch die Hexen auf dem Besenstiel herausreiten?" sagte Guschen. „Hexen gibt 
es gar nicht", sagte ich, „das ist dummer Aberglaube." Aber Guschen sagte, das 
wäre nur schade, und sie möchte ganz gern eine Hexe sein und über die Dächer 
wegfliegen, wie eine schwarze Krähe. 
„Kräh! kräh!" schrie es plötzlich. Guschen fuhr vom Fenster zurück. Da 
flog gerade über die Dächer eine blanke schwarze Krähe weg, und dann kam sie 
zurück und setzte sich auf eine rote Dachpfanne. 
„Du! sie guckt uns so merkwürdig an!" sagte Guschen und kniff mich itt den 
Arm. Die Krähe hatte eigentlich ein lächerliches Gesicht, ganz frech saß sie da und 
starrte in unser Fenster. Mit einem Mal schrie Guschen: „Die Katze! guck die 
Katze!" 
In der Dachrinne vor uns, ganz dicht, saß eine große gelbe Katze mit 
schwarzem Schwanz und weißen Pfoten. Sie hatte sich ganz zusammengeduckt, sie 
rührte sich nicht, nur der Schnurrbart zitterte und der dicke schwarze Schwanz. 
„Die lauert!" sagte Guschen. 
Jetzt fingen eine Menge Sperlinge an zu piepen, zu flattern, mit den Flügeln 
zu schlagen. Sie flogen um die Katze, pickten von oben nach ihr, schrieen und 
schalten. Und die Krähe schrie mit „kräh! kräh! kräh!" 
Da nahm die Katze einen Sprung und verschwand in einem Bodenfenster. 
„Etsch! etsch!" ries Guschen; ich freute mich auch, daß sie keinen Vogel 
bekommen hatte. Die ganze Luft war voll Spatzen. 
3. Die Sonne kam noch durch. Hinter den Dächern sahen wir die Masten 
der Schiffe im Hasen. Eine kleine Wetterfahne glänzte wie von Silber. Wir 
hörten die Dampfer heulen, und dann wachte der Wind aus und krachte im Schorn¬ 
stein. „Bei euch kann man bange werden, aber schon ist es doch", sagte Guschen, 
als sie wegging. 
I. Frapan, Hamburger Bilder. 
5. An verwaister Stätte. 
1. Morgens früh im Herbstnebel wandern zwei Kinder von sechs bis 
sieben Jahren, ein Knabe und ein Mädchen, Hand in Hand durch die Garten¬ 
wege zum Dorfe hinaus. Das Mädchen, merklich älter, hält Schiefertafel, 
Bücher und Schreibhefte unter dem Arme; der Knabe hat das Gleiche in 
einem offenen grauleinenen Beutel, der ihm über die Schultern hängt. Das 
Mädchen hat eine Haube von weißem Drill , die fast bis an die Stirne reicht 
und die weit vorstehende Wölbung der Stirn um so schärfer hervortreten 
läßt; der Knabe ist barhaupt. Man hört nur einen Schritt; denn der Knabe 
hat feste Schuhe an, das Mädchen aber ist barfuß. So oft es der Weg 
gestattet, gehen die Kinder nebeneinander, sind aber die Hecken zu eng, 
geht das Mädchen immer voraus. Auf dem falben Laub an den Sträuchern 
liegt ein weißer Duft, und die Mehlbeeren und Pfaffenhütchen, besonders aber 
die aufrechtstehenden Hagebutten auf nacktem Stengel, sind wie versilbert. 
Die Sperlinge in den Hecken zwitschern und fliegen in unruhigen Haufen auf 
beim Herannahen der Kinder und setzen sich wieder nicht weit von ihnen, 
bis sie von neuem aufschwirren und endlich sich hinein in einen Garten 
werfen, wo sie sich auf einem Apfelbaume niederlassen, daß die Blätter 
raschelnd niederfallen. Eine Elster fliegt rasch auf vom Wege, feldein auf
	        
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