Full text: [Teil 3 = (4. Schuljahr), [Schülerband]] (Teil 3 = (4. Schuljahr), [Schülerband])

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66. Die Einführung der Kartoffeln. 
„Ich mochte wohl,“ erzählt Nettelbeck von Kolberg, „ein Bürschchen 
von fünf oder sechs Jahren sein und noch in meinen ersten höschen 
stecken — also etwa ums Jahr 1743 oder 44 — als es hier bei uns 
und im Lande weit umher eine so schreckliche und teure Zeit gab, daß 
viele Menschen vor hunger starben. Der hiesige Scheffel Roggen galt 
damals vier Taler. Es kamen von landeinwärts her viele arme Leute 
nach Kolberg, die ihre hungrigen Kinderchen auf Schiebkarren mit sich 
brachten, um Korn von hier zu holen, weil man Getreideschiffe in unserm 
hafen erwartete, die der grausamen Not steuern sollten. Alle Straßen 
bei uns lagen voll von diesen unglücklichen Menschen. Meine Groß— 
mutter, bei der ich erzogen ward, ließ täglich mehrere Körbe voll Grün— 
kohl in ihrem Garten pflücken, kochte einen Topf voll nach dem andern 
für unsere verschmachtenden Gäste, und mir ward das gern übernommene 
Ehrenämtchen zuteil, ihnen diese Speise in kleinen Schüsseln nebst einer 
Brotschnitte zuzutragen. Da rissen mir denn Alte und Junge meinen 
Napf begierig aus der hand oder auch wohl untereinander sich vor 
dem Munde weg. 
Im nächsten Jahre erhielt Kolberg durch Friedrichs des Großen 
vorsorgende Güte ein Geschenk: ein großer Frachtwagen voll Kartoffeln 
langte an, und nach Trommelschlag erging die Bekanntmachung, daß 
jeder Gartenbesitzer sich zu einer bestimmten Zeit vor dem Rathaus ein— 
finden solle, indem des Königs Majestät ihm eine besondere Wohltat 
zugedacht habe. Man ermißt leicht, wie alles in eine stürmische Be— 
wegung geriet. Die herren vom Rate zeigten der versammelten Menge 
die neue Frucht vor, die hier noch nie ein menschliches Auge erblickt 
hatte. Daneben wurde eine umständliche Anweisung verlesen, wie diese 
Kartoffeln gepflanzt und bewirtschaftet, wie sie gekocht und zubereitet 
werden sollten. Besser freilich wäre es gewesen, wenn man eine solche 
geschriebene oder gedruckte Anweisung gleich mit verteilt hätte. Denn 
im Getümmel achteten die wenigsten auf die Vorlesung. Dagegen nahmen 
die guten Leute die hochgepriesenen Knollen verwundert in die Hände, 
rochen, schmeckten und leckten daran. Kopfschüttelnd bot sie ein Nachbar 
dem andern. Man brach sie voneinander und warf sie den hunden vor, 
die daran herumschnoberten und sie gleichfalls verschmähten. Nun war 
ihnen das Urteil gesprochen. „Die Dinger,“ hieß es, „riechen nicht und 
schmecken nicht, und nicht einmal die Hunde mögen sie fressen. Was 
wäre uns damit geholfen?“ Am allgemeinsten war dabei der Glaube, 
daß sie zu Bäumen heranwüchsen, von denen man zu seiner Zeit ähnliche 
Früchte herabschüttele.
	        
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