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Hauptstellung heran. Die Truppen, die er gestern vom linken und jetzt vom
rechten Flügel holte, gerieten ineinander und bildeten bald mit den weichenden
Massen der Front ein unentwirrbares Durcheinander, das haltlos nach rück-
Worts flutete. Währenddessen hatte auch die Einkesselung an den beiden Flügeln
Fortschritte gemacht. Die Westpreußen schoben sich Näher an Ortelsburg heran,
während die Ostpreußen auf Neidenburg zu Gelände gewannen. Damit waren
die Russen zugleich von ihrer natürlichen Rückzugslinie auf Soldau und Neiden-
bürg abgedrängt. Offen blieb ihnen schließlich fast nur noch die Lücke zwischen
Ortelsburg und Willenberg. Der Weg dahin führte durch dichte Waldungen
und ein Gewirr von Seen. Am Abend des 28. war bereits der herrlichste
Sieg erfochten.
Für den 29. kam es den Russen hauptsächlich darauf an, auf dem un¬
vermeidlichen Rückzug diese Wald- und Seengebiete glücklich zu überwinden.
Auch der Versuch sollte fehlschlagen. Die beiden Flügel umklammerten die
großen Massen immer mehr. Die Mitte drückte unerbittlich nach. Mit fliegen-
den Fahnen, unter wirbelnden Trommeln, mit brausendem Hurra stürmten die
Bataillone vorwärts. Unfähig zu weiterem Widerstande, in aufgelösten Ver-
bänden wurden Taufende und Abertausende, Infanterie und Reiterei gegen die
Seen gedrängt. Vergeblich versuchten die Russen, sich auf den schmalen Land-
engen zwischen je zwei Seen hindurchzuschieben. Unzählige stürzten ins Wasser,
andere wurden in die Sümpfe und Wälder getrieben und gingen elend zu Grunde.
Fanden auch nicht so viele in den Sümpfen den Tod, wie damals verbreitet
wurde, so war die Zahl der elend in See, Wald und Sumpf Umgekommenen
zweifellos fehr groß. 95000 unverwundete Gefangene wurden gemacht. Dazu
verlor der Feind alle Geschütze, alle Maschinengewehre und alle Fahrzeuge.
Die russische Narew-Armee war nicht nur geschlagen, sie war vernichtet. Nur
ganz erbärmliche Trümmer entkamen und retteten sich in grenzenloser Auflösung
aus dem Verderben.
Einst brach auf demselben Gelände die Macht des Deutschen Ordens vor
dem slawischen Ansturm zusammen. Nun fluteten hier ein halbes Jahrtausend
später die russischen Einbrecherhorden vor den zornentbrannten Nachfolgern jener
wackeren Bannerträger des Deutschtums in ihre sarmatischen Gefilde zurück.
In pietätvoller Erinnerung an das tüchtige Geschlecht der Vorzeit geschah es
daher, daß man auch diesem Riesenkampf, der sich hier auf historischem Boden
abspielte, den Namen der Schlacht von Tannenberg gegeben hat.
5. Die crfte Schlacht in Maturen, Noch war erst ein Teil der
Riesenaufgabe gelöst. Noch war Ostpreußen nicht völlig frei von seinen Rei¬
nigern. Vielmehr waren noch weite Gebiete im Osten in Feindeshand. Rennen-
kämpf, in dessen Hauptquartier sich auch der Oberbefehlshaber der gesamten rus-
fischen Streitkräfte, der Großfürst Nikolaus, befand, hatte es zwar versäumt, seinem
unglücklichen Kameraden von der Narew-Armee, der übrigens in der Schlacht bei
Tannenberg gefallen war, zu unterstützen. Er zog bei der Nachricht von dessen
Niederlage seine vorgeschobenen Kräfte zurück. Aber einen kampflosen Rückzug
anzutreten, daran dachte er nicht. Vielmehr ließ er in Erwartung des kommen-
den Angriffs seine Stellungen noch verstärken, und so blieb trotz des Tannen-
berger Sieges ein großer Teil Ostpreußens, etwa der Regierungsbezirk Gum-
binnen, noch in Feindeshand. Hindenburg war nun nicht willens, auf halbem