Full text: Lehr- und Lesebuch für städtische und gewerbliche Fortbildungsschulen

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Wenn man von einem Steine ein Stück abschlägt, so wird er 
zwar kleiner, allein er bleibt, was er war: ein Stein. Wenn man 
aber eine Pflanze oder einen Tierkörper zerschneidet, bleiben elwa 
beide auch noch, was sie zuvor waren? Hat man vielleicht zwei, drei, 
sechs Pflanzen oder zwei, drei, sechs Tiere, wenn man beide in diese 
Zahl von Stücken zerschnitten? Und wenn jemand etwa in der 
Meinung, die Pflanze oder das Tier wieder zu ergänzen, diese Stücke 
wieder zusammensetzen wollte, wäre es auch mit dem kräftigsten Kitte: 
würde ihm das gelingen? Natürlich nicht. 
Der Leib einer Pflanze oder eines Tieres ist eben mehr als die 
bloße Zusammenreihung seiner Teile: es ist ein lebendiges, ein 
unteilbares Ganze. Die einzelnen Teile bilden seine Glieder 
und dienen ihm als Werkzeuge oder Organe für seine Er nährung, 
sein Wachstum und seine übrigen Lebensverrichtungen. Alle diese 
Glieder stehen im Zusammenhange, und jedes ist dem Ganzen not— 
wendig. Ganz ähnlich nun verhält es sich mit dem Staate. Auch 
er ist ein organisches Gebilde, ein gesellschaftlicher Organismus. 
Auch in dem Staatskörper bewegt sich ja eine Fülle von Kräften auf 
und ab und durchtränkt nährender Saft geistigen und sittlichen Lebens 
das in steter Entwickelung begriffene Ganze; auch in ihm findet eine 
reiche Gliederung und ein unzerreißbarer gusammenhang der einzelnen 
Teile statt, und ein jeder ist gleichsam ein notwendiges Blatt, ja eine 
Frucht und, wolle Gott, eine recht gesunde Frucht auf dem weit aus 
gebreiteten Baume. Oder ist etwa der Landmann weniger notwendig 
als der Handwerker, haben die Gelehrten und Künstler nicht ebenso⸗ 
gut ihre Bestimmung in diesem Wunderbau, wie der Arzt und der 
Richter, der Kaufmann und der Fabrikant, der Pfarrer und Lehrer? 
Der König steht höher als der Unterthan, der Schultheiß hat den 
Vorrang vor dem einfachen Bürger; aber einen König giebt es nicht 
ohne Unterthanen, einen Schultheiß nicht ohne Gemeinde. Und für 
das Ganze ist jeder Teil wichtig, wie in einer Uhr auch das kleinste 
Rädchen nicht fehlen darf. 
Der Staat also ist es, der die gegenseitigen Beziehungen seiner 
Bürger regelt, sie in der Ausübung ihrer Thätigkei schützt und 
fördert; der die Gesetze über Eigentum, Gewerbsbetrieb, Landeskultur, 
Bildungswesen ꝛc. giebt und aufrecht erhält; der die Strafen für 
Übertretungen ansetzt und die Wächter des Gefete⸗ bestellt; der durch 
seine Heeresmacht und Bündnisse mit anderen Staaten dafür sorgt, 
daß die Angriffe äußerer Feinde abgewehrt werden, und durch eine 
verständige und sorgfältige Verwaltung darauf bedacht ist, Eintracht, 
Wohlstand und Bildung im Innern zu fördern; der endlich für so 
viele Vorteile, die er gewährt, dem Bürger auch gewisse Leistungen 
und Verpflichtungen auferlegt, wie z. B. Steuerpflicht und Heeresdieust. 
Mit Recht wird daher jeder bestraft, der mit errbe 
störend in die wundervolle Ordnung des Staates eingreift. 
Deimling.
	        
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