5
8
20
3
Die Wahrheit richtet sich nicht nach uns, lieber Sohn, sondern
wir müssen uns nach ihr richten.
Was du sehen kannst, das sieh, und brauche deine Augen, und
über das Unsichtbare und Ewige halte dich an Gottes Wort.
Bleib der Religion deiner Väter getreu und hasse die theo—
logischen Kannegießer.
Scheue niemand so viel, als dich selbst. Inwendig in uns
wohnet der Richter, der nicht trügt, und an dessen Stimme uns mehr
gelegen ist, als an dem Beifall der ganzen Welt und der Weisheit
der Griechen und Agypter. Nimm es dir vor, Sohn, nicht wider
seine Stimme zu tun; und was du sinnest und vor hast, schlage
zuvor an deine Stirne und frage ihn um Rat. Er spricht anfangs
nur leise und stammelt wie ein unschuldiges Kind; doch wenn du seine
Unschuld ehrst, löset er gemach seine Zunge und wird dir vernehm—
licher sprechen.
Lerne gerne von andern, und wo von Weisheit, Menschenglück,
Licht, Freiheit, Tugend ꝛc. geredet wird, da höre fleißig zu. Doch
traue nicht flugs und allerdings, denn die Wolken haben nicht alle
Wasser, und es gibt mancherlei Weise. Sie meinen auch, daß sie
die Sache hätten, wenn sie davon reden können und davon reden.
Das ist aber nicht, Sohn. Man hat darum die Sache nicht, daß
man davon reden kann und davon redet. Worte sind nur Worte,
und wo sie so gar leicht und behende dahinfahren, da sei auf
deiner Hut, denn die Pferde, die den Wagen mit Gütern hinter sich
haben, gehen langsameren Schrittes.
Verachte keine Religion, denn sie ist dem Geist gemeint“), und
du weißt nicht, was unter unansehnlichen Bildern verborgen sein könne.
Es ist leicht zu verachten, Sohn; und verstehen ist viel besser.
Lehre nicht andere, bis du selbst gelehrt bist.
Nimm dich der Wahrheit an, wenn du kannst, und laß dich
gerne ihretwegen hassen; doch wisse, daß deine Sache nicht die Sache
der Wahrheit ist, und hüte, daß sie nicht ineinander fließen, sonst
hast du deinen Lohn dahin.
Tue das Gute vor dich hin und bekümmere dich nicht, was
daraus werden wird.
Wolle nur einerlei, und das wolle von Herzen.
Sorge für deinen Leib, doch nicht so, als wenn er deine
Seele wäre.
Gehorche der Obrigkeit, und laß die andern über sie streiten.
Sei rechtschaffen gegen jedermann.
Mische dich nicht in fremde Dinge, aber die
mit Fleiß.
Schmeichle niemand, und laß dir nicht schmeicheln.
*) D. h. sie ist eine Sache des Geistes.