Object: Geschichte des Altertums (Teil 1)

Der Orient. 
§ 2. Im 4. Jahrtausend v. Chr., bis wohin unsere Forschung vor- 
zudringen vermag, haben die ältesten Kulturvölker schon eine 
lange Entwickelung hinter sich: sie sind vom Nomadenleben 
schon längst zur Seßhaftigkeit übergegangen und haben Staaten 
und Reiche gegründet. Im Yerlaufe der Jahrhunderte sehen wir 
nun zahlreiche Staaten entstehen und nach oft überraschend 
kurzem Bestände wieder vergehen. Das erklärt sich aus der 
stetigen Wiederholung desselben Vorganges: die Nomaden Völker 
der Steppe dringen gegen das Kulturland an, das sich eine zeit¬ 
lang ihrer erwehrt; aber bei der gewaltigen räumlichen Ausdeh¬ 
nung dieser Staaten, den wenig entwickelten Verkehrsmitteln, der 
Selbständigkeit der Statthalter und Vasallen ist eine Zusammen¬ 
fassung der Kräfte unmöglich; der Kulturstaat erliegt den Nomaden, 
die die Erben seiner Kultur werden, ein neues Reich gründen 
und nach einiger Zeit dasselbe Schicksal erleiden, das sie ihren 
Vorgängern bereitet haben. 
I. Die semitisch-ägyptische Zeit. 
Den semitischen Völkern sind als gemeinsame Charakter¬ 
züge Nüchternheit des Denkens, ein berechnender, auf das Prak¬ 
tische gerichteter Verstand und Mangel an Phantasie eigen. Diese 
Nüchternheit zeigt auch die Religion. Sie verehren in der Natur 
wirkende freundliche und feindliche Dämonen; jeder Stamm ver¬ 
ehrt in seinem Gott seinen Herrn (Baal, Bel) oder seine Herrin, 
denen zu dienen er verpflichtet ist. Der Kultus war nicht selten 
blutdürstig oder sonst abstoßend. 
Auch für die ägyptische Kultur ist bezeichnend ihre Richtung 
auf das Praktische, die hohe Ausbildung in der Technik, der
	        
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