Full text: Unterstufe: Zweiter Kursus (Teil 2, [Schülerband])

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sein!" rief er aus; „alles, was ich wünsche, trifft mir ein wie einem Sonn¬ 
tagskind." Indessen, weil er seit Tagesanbruch auf den Beinen gewesen 
war, begann er müde zu werden; auch plagte ihn der Hunger, da er allen 
Vorrat auf einmal in der Freude über die erhandelte Kuh aufgezehrt hatte. 
Er konnte endlich nur mit Mühe weitergehen und mußte jeden Augenblick 
Halt machen. Dabei drückten ihn die Steine ganz erbärmlich. Da konnte 
er sich des Gedankens nicht erwehren, wie gut es wäre, wenn er sie gerade 
jetzt nicht zu tragen brauchte. Wie eine Schnecke kam er zu einem Feld¬ 
brunnen geschlichen, da wollte er ruhen und sich mit einem frischen Trünke 
laben; damit er aber die Steine im Niedersitzen nicht beschädige, legte er 
sie bedächtig neben sich auf den Rand des Bruunens. Darauf setzte er sich 
nieder und wollte sich zum Trinken bücken; da versah er's, stieß ein klein 
wenig an, und beide Steine plumpten hinab. Hans, als er sie mit seinen 
Augen in die Tiefe hatte versinken sehen, sprang vor Freuden aus, kniete da 
nieder und dankte Gott mit Tränen in den Augen, daß er ihm auch diese 
Gnade noch erwiesen und ihn auf eine so gute Art, und ohne daß er sich 
einen Vorwurf zu machen brauchte, von den schweren Steinen befreit hätte; 
das einzige wäre ihm nur noch hinderlich gewesen. „So glücklich wie ich," 
rief er aus, „gibt es keinen Menschen unter der Sonne!" Mit leichtem 
Herzen und frei von aller Last sprang er nun, bis er daheim bei seiner 
Mutter war. _Gebrüder Grimm. 
122. Kleanthes. 
Kleanthes, ein junger Athener, hatte von Jugend auf nur 
sehr langsam fassen können und war dabei sehr arm. Dennoch 
hatte er eine unermüdliche Begierde, etwas zu lernen, mochte es 
ihm auch noch so sauer werden. Gern hätte er dabei den Unter¬ 
richt des Zeno genossen, der damals in Athen junge Leute zur 
Weisheit und Tugend führte; aber wovon sollte er leben, wenn 
er nicht durch Arbeit seinen Unterhalt erwarb? Und wenn er 
anstrengende Arbeiten verrichten mußte, wie konnte er dann den 
Unterricht des Weisen genießen? Doch sein Eifer wußte alle 
Hindernisse zu besiegen. Er trug zur Nachtzeit für einen Gärtner 
Wasser oder mahlte für eine Frau Getreide auf der Handmühle. 
Dadurch erwarb er sich jede Nacht so viel, als er am folgenden 
Tage zu seinem Unterhalte gebrauchte. Bei Tage besuchte er 
dann den Unterricht des Zeno und war gesund und stark dabei. 
Darüber wunderten sich die Menschen sehr, die seine Armut 
kannten, und sprachen untereinander: „Wodurch mag sich der 
junge Mensch doch ernähren, da er gar nichts arbeitet?" Sie 
faßten zuletzt den Verdacht gegen ihn, daß er auf eine unerlaubte 
Weise sich seinen Unterhalt verschaffe, und forderten ihn des¬ 
wegen vor Gericht.
	        
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