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Die Frau in Gemeinde und Staat.
Bald darauf aber war sie schon entschlossen, für den König und das Vater—
land auch diesen schweren Schritt zu tun.
„Opfer und Aufopferung ist mein Leben“ — so schrieb sie noch im letzten
Lebensjahre ihrem Vater; Opfer und Aufopferung war ihr Tod. Noch an
ihrem letzten Geburtstage hatte sie durch schnell entschlossenes Handeln dem
Preußischen Staate Schlesien gerettet, das Napoleon als Pfand für die augen⸗
blicklich nicht aufzubringenden Kriegskosten nehmen wollte. Sie hatte eine
Anleihe bei Berliner Banken veranlaßt.
Durch die Tat hat sie zur Tat angespornt, zur heiligen Tat der Auf—
opferung des persönlichen Wohles im Dienst des Vaterlandes.
Heinrich von Kleist löste der allgemeinen Bewunderung für sie die Zunge,
indem er Luisens Bedeutung ergreifend in einem Sonett darstellte:
Erwäg' ich, wie in jenen Schreckenstagen
still deine Brust verschlossen, was sie litt,
wie du das Unglück mit der Grazie Tritt
auf jungen Schultern herrlich hast getragen,
wie von des Kriegs zerriss'nem Schlachtenwagen
selbst oft die Schar der Männer zu dir schritt,
wie trotz der Wunde, die dein Herz durchschnitt.
du stets der Hoffnung Fahn' uns vorgetragen:
o Herrscherin, die Zeit dann möcht' ich segnen!
Wir sahn dich Anmut endlos niederregnen,
wie groß du warst, das ahneten wir nicht.
Dein Haupt scheint wie von Strahlen mir umschimmert;
du bist der Stern, der voller Pracht erst flimmert,
wenn er durch finstre Wetterwolken bricht.
Nach Karstädt, „Heldenmädchen und Frauen aus großer Zeit“
154. Rönĩgin Cuise an ihren Bruder Georg.
Memel, den 5. August 1807.
Reich an Erfahrung, arm an Glauben, lege ich mein müdes Haupt an
Deine Brust! Ach! George, welches Schicksal, welche Zukunft, welche Ver—
gangenheit! Ist es möglich, daß solche Menschen von Gott erschaffen werden,
als ich habe kennen lernen? Die Guten tun das Böse, die Teufel brüten es
aus und lernen es ihnen; das ist, was ich gesehen habe von Angesicht zu
Angesicht. Ganz erfüllt von dem großen Gedanken meiner heiligen Pflicht,
flog ich nach Tilsit und sprach das, was mir Gott eingab; allein ich sprach
nicht zu einem Menschen, sondern zu einem — zu einem Wesen ohne mensch—
lich Herz, und das Resultat ist dann auch so rein unmenschlich, daß Preußen
vor der Welt gerechtfertigt dasteht!
Wenn ich Dich einmal sehe, so werde ich Dir alles erzählen, und Du
wirst es nicht begreifen anfangs, Du wirst es hören und nicht verstehen. Ja,
ich habe Ungeheures erlebt, lieber George, aber lieber Freund, ich bin nicht
schlechter geworden, das sei Dir Trost. Adieu; wenn Du der Berg r
tausend Schönes, sowie auch der Kleist. Laß ihr wissen, ich sei nicht müßig. —
Ich lege mich Großmama zu Füßen. Ihren und Deinen Brief bekam ich, als
N. schon im sausenden Galopp nach Dresden flog, da hier sein Teufelswerk
vollbracht war. 27 Marschaäͤllen und Generälen hat er die Domänen des
Königs in Polen verschenkt und dem Sachsenkönig das unzu⸗
friedene, höchst unglückliche Land, was so betrogen ist wie noch keines. Und
unsre Magdeburger, Altmärker, Halberstädter uüsw. an Jéeröme, König von
Westfalen. Ist es zum Überleben, George? Ganz
Deine Luise.