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„Ich verstehe von Euerm Handel nichts, und er geht mich auch nichts
an“, antwortete der Schafhirt, der mit diesem Menschen nicht länger etwas
zu schaffen haben mochte.
„Nun, was habt Ihr denn?“ fragte Sielert beruhigend. „Ihr könnt mir
einen großen Gefallen thun. Hört mich doch nur einmal an! Seht, die fran—
zösische Infanterie hat den Landgrafenberg und die Höhen dort besetzt. Die
Soldaten sind wie Katzen hinaufgeklettert. Da oben gibt es nichts zu essen
und zu trinken. Es getraut sich auch niemand so leicht zu den Franzosen hin,
ich aber fürchte mich vor ihnen nicht. Nun möchte ich gern mit einem kleinen
Wagen Wein und Bier hinauffahren, und man würde es mir gut bezahlen.
Aber wie soll ich hinaufkommen? Seht, Born, ich schenke Euch eins von diesen
Goldstücken, wenn Ihr mir den Weg zeigt, von dem Ihr gestern spracht.
Wollt Ihr?“
Born hatte den Worten des Mannes mit steigender Aufmerksamkeit zugehört.
Ernst und düster blickten seine Augen auf ihn. Endlich sprach er: „Ich soll Euch
den Weg zeigen? Nimmermehr. Ihr werdet ihn an die Franzosen verraten.“
Sielert lächelte listig. Dann sprach er: „Seid kein Thor, Born! Und
wenn dies wirklich meine Absicht wäre? Kommt, wir wollen beide zusammen
das Geschäft machen. Ich will mit den Franzosen unterhandeln und unsere Forder—
ungen stellen. Und sie sollen uns, darauf könnt ihr Euch verlassen, so viel Geld
geben, daß wir beide in unserm ganzen Leben nicht mehr zu arbeiten brauchen.“
Die Wangen des Hirten hatten sich bei diesen Worten je mehr und mehr
gerötet. Die Adern waren auf seiner Stirn angeschwollen. Ein heißer Zorn glühte
in seinen ehrlichen Augen. Aber noch hielt er sich, so schwer es ihm auch wurde.
„Nun sprecht, Born!“ drängte Sielert.
„Ich, ich soll den verwünschten Franzosen den Weg zeigen?“ rief Born,
der noch immer nicht Luft für seinen Zorn bekommen konnte.
„Nun, weshalb denn nicht?“ sprach lächelnd der Verräter. „Was ist daran
gelegen, wenn es nur gut bezahlt wird? Und dafür will ich wohl einstehen.“
„Schuft!“ unterbrach ihn der Hirt heftig, indem er ihn an der Brust
packte. „Du Schuft, Du Judas! Mein eigenes Vaterland und das Leben meiner
Söhne soll ich für Geld verraten? Da, fahr hin, wohin Du gehörst!“ rief er,
indem er Sielert trotz seines Alters mit starkem Arme den AWhang hinabstieß.
Der Verräter überschlug sich mehreremale, indem er hinunter rollte. Dann
raffte er sich auf, stürmte wieder den Berg hinauf und drang wütend auf
auf den Alten ein. Dieser hatte seinen Schãaferstab erhoben und schwang ihn
mit kräftiger Hand. Sein Hund eilte knurrend und bellend herbei und war
jeden Augenblick bereit, sich auf den Angreifer zu stürzen. Sielert wagte sich
darum nicht heran. Er rief nur wütend: „Das sollt Ihr mir büßen!“ und
eilte dann den Berg wieder hinab.
„Denke nur an Dein eigenes Leben, das gewiß am Galgen endet!“ rief
ihm der Alte zornig nach.
Sein ehrlicher und schlichter Sinn konnte die Schändlichkeit dieses Menschen
kaum fassen. Er setzte sich nieder und stützte das Haupt in die Hand. Wie
war es möglich, daß jemand sein eigenes Vaterland verraten konnte? Dann
dachte er an seine Söhne, seine Tochter und seine Frau. Er hatte sie lange
nicht gesehen. Noch waren sie in keiner Gefahr. Die Feinde waren noch nicht
jenseits der Saale, die dortigen Höhen waren noch von ihnen frei. Aber was
sollte aus ihnen allen werden, wenn die Franzosen siegten? Nein, das konnte,
das durfte nicht geschehen!