Full text: Deutsches Lesebuch für Gymnasien und andere höhere Bildungsanstalten

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seiner langjährigen, fast ein halbes Jahrhundert umspannenden Regierung 
nicht, daß der Staatsorganismus neu belebt wurde, sondern vielmehr, daß 
das römische Volk, dem Scheine nach wenigstens Mitinhaber der höchsten 
Gewalt, immer mehr zum niedrigen, willenlosen, vom Herrscher Unterhalt 
und Vergnügungen erwartenden Pöbel herabsank und daß in den höheren 160 
Kreisen, unter den Senatoren und den Trägern der höchsten Würden, an 
Stelle des männlichen Freimuts, der einen ausgezeichneten Vorzug der Römer 
der besseren Zeit bildete und von dem auch noch in der Zeit des Verfalls ein 
Rest erhalten war, immer mehr die Schmeichelei und Heuchelei eines knechtisch 
gesinnten, kriechenden Hofadels herrschend wurde. Und dabei blieben zum 
weiteren Unglück für Rom trotz der völligen Vernichtung des Wesens der 
Republik gleichwohl die republikanischen Erinnerungen noch immer mächtig 
genug um auf die bestehenden Zustände dunkle Schatten zu werfen, um das 
Gefühl der Unsicherheit in der römischen Welt zu verewigen und um in 
schwächeren Individualitäten unter den Kaisern Furcht und Mißtrauen zu i70 
erwecken und sie dadurch zu grausamen Despoten zu machen. 
Auch die Literatur unterlag schließlich diesem Druck. In der ersten 
Hälfte seiner Regierung hatte ihr Octavian teils selbst teils durch seinen 
einflußreichen vertrauten Freund Mäcenas seine besondere Gunst geschenkt 
— hauptsächlich um auch sie zur Förderung seiner politischen Zwecke zu ge¬ 
brauchen — und hatte so eine neue Blüte derselben heraufgeführt, die 
wesentlich dazu beigetragen hat sein Zeitalter mit einem hellen Glanze zu 
umgeben. Nachher aber wurde ihm ihre freiere Bewegung lästig, es traten 
auch hier hemmende, niederhaltende Maßregeln ein und so verbreitete sich 
auch auf diesem Gebiete dieselbe Öde und Ruhe, die das gesamte übrige 180 
öffentliche Leben gefesselt hielt. 
Pie Stadt Wom in der Kaiserzeit 
von Ludwig Friedländer. 
Rom hat durch seinen ersten Monarchen einen neuen architektonischen 
Charakter erhalten; es hat sich unter und durch Augustus „aus einer Ziegel¬ 
stadt in eine Marmorstadt" verwandelt *). 
Die Straßenzüge Noms hat jedoch die Augusteische Zeit wohl nur zu 
einem sehr geringen Teil umgestaltet oder angetastet. Denn unter Tiber 
klagte man, daß die Höhe der Häuser so groß und die Straßen so eng seien, 
daß es weder einen Schutz gegen Feuersgefahr noch eine Möglichkeit gebe 
bei einem Einsturz uach irgend einer Seite hin zu entkommen. Der Neronische 
8ueton. August, c. 28.
	        
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