Full text: [Teil 3 = Quarta, [Schülerband]] (Teil 3 = Quarta, [Schülerband])

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Sind wir nicht Brüder und Boten eines Vaters?“ So sprach er. Da 
glänzte das Auge des Todesengels, und zärtlicher umfingen sich die 
brüderlichen Genien. P. A. Krummacher. 
2. Brei Freunde. 
Traue keinem Freunde, worin du ihn nicht geprüft hast; an der Tafel 
des Gastmahls gibt es deren mehr als an der Tür des Kerkers. 
Ein Mann hatte drei Freunde; zwei davon liebte er sehr, der dritte 
war ihm gleichgültig, ob dieser es gleich am redlichsten mit ihm meinte. 
Einst ward er vor Gericht gefordert, wo er unschuldig, aber hart verklagt 
war. „Wer unter euch", sprach er, „will mit mir gehen und für mich 
zeugen? Denn ich bin hart verklagt worden, und der König zürnt." Der 
erste seiner Freunde entschuldigte sich sogleich, daß er nicht mit ihm gehen 
könne wegen anderer Geschäfte. Der zweite begleitete ihn bis zur Türe 
des Richthauses; da wandte er sich und ging zurück aus Furcht vor dem 
zornigen Richter. Der dritte, auf den er am wenigsten gebaut hatte, ging 
hinein, redete für ihn und zeugte von seiner Unschuld so freudig, daß der 
Richter ihn losließ und beschenkte. 
Drei Freunde hat der Mensch in dieser Welt; wie betragen sie sich in 
der Stunde des Todes, wenn ihn Gott vor Gericht fordert? Das Geld, 
sein bester Freund, verläßt ihn zuerst und geht nicht mit ihm. Seine 
Verwandten und Freunde begleiten ihn bis zur Tür des Grabes und 
kehren wieder in ihre Häuser. Der dritte, den er im Leben oft am meisten 
vergaß, sind seine wohltätigen Werke. Sie allein begleiten ihn bis zum 
Throne des Richters; sie gehen voran, sprechen für ihn und finden Barm¬ 
herzigkeit und Gnade. i Herder. 
3. Der Gnade und die Schlange. 
Ein Knabe spielte mit einer zahmen Schlange. 
„Mein liebes Tierchen," sagte der Knabe, „ich würde mich mit dir so 
gemein nicht machen, wenn dir das Gift nicht genommen wäre. Ihr 
Schlangen seid die boshaftesten, undankbarsten Geschöpfe! Ich habe es 
wohl gelesen, wie es einem armen Landmanne ging, der eine, vielleicht von 
deinen Urvätern, die er halb erfroren unter einer Hecke fand, mitleidig 
aufhob und in seinen erwärmenden Busen steckte. Kaum fühlte sich die 
Böse wieder, als sie ihren Wohltäter biß; und der gute freundliche Mann 
mußte sterben. 
„Ich erstaune," sagte die Schlange. „Wie parteiisch eure Geschicht¬ 
schreiber sein müssen! Die unsrigen erzählen diese Historie ganz anders. 
Dein freundlicher Mann glaubte, die Schlange sei wirklich erfroren, und 
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