Full text: Charaktere aus der neuen deutschen Geschichte vornehmlich in zeitgenössischer Schilderung

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auf anderem Wege nicht erfüllt werden können. Aber den Krieg um 
seiner selbst willen zu wünschen, wäre er nie fähig gewesen. 
Bei aller Größe und allem Ruhme hat er sich eine wahrhaft 
rührende Anspruchslosigkeit bewahrt. Die zahlreichen Beweise der Gnade 
und Zuneigung seines königlichen Herrn, dessen treuer Ratgeber er in 
schweren Zeiten gewesen ist und an welchem er mit inniger Verehrung 
hing, waren die Lichtblicke seines Lebens. Die Zeichen der Achtung seiner 
Mitbürger erfreuen ihn. Aber wie er nie einen anderen Ehrgeiz gehabt 
hat als den, der treue Diener seines Königs und seines Landes zu sein, 
so verweilt er jetzt, nachdem er jüngeren Kräften neidlos die Nachfolge 
in dem von ihm so glorreich ausgefüllten hohen Staatsamte überlassen 
hat, am liebsten in stiller Zurückgezogenheit auf seinem Landsitz in 
Schlesien, auf äußeren Glanz uud Ehrenbezeugungen verzichtend. Seine 
Lebenshaltung ist in allem Wechsel der Zeiten diejenige eines schlichten 
und einfachen Soldaten geblieben: so lebt er im eigenen Hause, so er¬ 
scheint er auch in den seltenen Fällen, wo er vor die Öffentlichkeit tritt. 
In antiker Größe ragt Moltkes Gestalt hervor aus unserer be¬ 
wegten Zeit, eine Verkörperung der sittlichen Ideale des deutschen Heeres 
und des deutschen Volkes! 
II. 
Ernst Curtius, Festrede am 2. Juli 1891 in: Sitzungsberichte der Kgl. preuß. 
Akademie der Wissenschaften zu Berlin. 1891. S. 633 ff. 
Moltke, dessen Leben ein Jahrhundert füllt, ist allmählich in die 
Zeit der Freiheitskriege hineingewachsen. Als Knabe hat er die tiefste 
Ohnmacht Deutschlands erlebt; er hat das eigene Vaterhaus von über¬ 
mütigen Feinden plündern, das Blüchersche Corps die Waffen strecken 
sehen. Um so lebendiger hat er, zum Jüngling heranreifend, den An¬ 
bruch einer neuen Zeit erkannt, und in feinen Reisebriefen spricht er 
von Niederlagen, in welchen der Keim einer verjüngenden Erhebung der 
Völker liegen könne. So begreifen wir, was den jungen Offizier aus 
der dänischen Armee zu uns herüberführte; es war der Heimatzug eines 
deutschen Gemüts, welches an der bei Leipzig und Waterloo begründeten, 
nationalen Entwickelung teilnehmen wollte, und nachdem er in langen 
Friedensjahren cm seiner Ausbildung zum Feldherrn und der Ver¬ 
vollkommnung des Heerwesens unablässig gearbeitet hatte, fiel ihm an 
der Spitze des Generalstabes die Aufgabe zu, in die Fortbildung dessen, 
was er in den Freiheitskriegen hatte werden sehen, persönlich und aus 
eine für Deutschland entscheidende Art einzugreifen. 
Die Wehrverfassung, durch welche Preußen neu geboren war, durfte 
nicht stehen bleiben, wie es zum Schaden des Staats mit dem Heer¬ 
wesen des großen Königs der Fall gewesen war. Kaiser Wilhelm I. 
war es, der als Regent die Notwendigkeit einer Neuordnung des Heeres 
erkannte, damit es für den Ernst kriegerischer Entscheidungen in voller 
Bereitschaft dastehen könne. Die damit verbundene Steigerung der An-
	        
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