366
Rückert.
Vernimm die Deutung auch dazu.
Es ist der Drach' im Brunnengrund
Des Todes aufgesperrter Schlund;
65 Und das Kamel, das oben droht,
Es ist des Lebens Angst und Not.
Du bist's, der zwischen Tod und Leben
Am grünen Strauch der Welt muß schweben.
Die beiden, so die Wurzel nagen,
7v Dich samt den Zweigen, die dich tragen,
Zu liefern in des Todes Macht,
Die Mäuse heißen Tag und Nacht.
Es nagt die schwarze, wohl verborgen,
Vom Abend heimlich bis zum Morgen,
75 Es nagt vom Morgen bis zum Abeud
Die weiße, wurzeluntergrabend.
Und zwischen diesem Graus und Wust
Lockt dich die Beere Sinnenlust,
Daß du Kamel, die Lebensnot,
so Daß du im Grund den Drachen Tod,
Daß du die Mäuse, Tag und Nacht,
Vergissest und auf nichts hast acht,
Als daß du recht viel Beerlein haschest,
Aus Grabes Brunnenritzen naschest.
1822. Ges. poetische Werke, IV, S. 303 ff.
1. Es läuft ein fremdes Kind
Am Abend vor Weihnachten
Durch eine Stadt geschwind,
Die Lichter zu betrachten,
Die angezündet sind.
2. Es steht vor jedem Haus
Und sieht die hellen Räume,
Die drinnen schaun heraus,
Die lampenvollen Bäume;
Weh wird's ihm überaus.
3. Das Kindlein weint und sprich:
„Ein jedes Kind hat heute
Ein Bäumchen und ein Licht
Und hat dran seine Freude,
Nur bloß ich armes nicht.
4. An der Geschwister Hand,
Als ich daheim gesessen,
Hat es mir auch gebrannt;
Doch hier bin ich vergessen
In diesem fremden Land.
5. Läßt mich denn niemand ein
Und gönnt mir auch ein Fleckchen?
In all den Häuserreihn
Ist denn für mich kein Eckchen,
Und wär' es noch so klein?
6. Läßt mich denn niemand ein?
Ich will ja selbst nichts haben;
j Ich will ja nur am Schein
, Der fremden Weihnachtsgaben
j Mich laben ganz allein."
341. Des fremden Kindes heiliger Christ.