Full text: (Prosa) (Teil 7 - 9 in 1 Bande, [Schülerband])

niemals mächtiger als er. Er hatte eine Jugend gehabt und Lieder, 
Liebe und Wein waren auch in sein Gemüt in lebendigem Leben, 
eingezogen; aber sie drangen ihm doch nicht bis in den innerlichsten 
Ziern seines Wesens. Die Literatur beschäftigte ihn lange und ernstlich; 
aber wenn Alerandern der homerische Achill nicht schlafen ließ, so stellte 
Cäsar in seinen schlaflosen Stunden Betrachtungen über die Beugungen 
der lateinischen Haupt- und Zeitwörter an. Er machte Verse wie damals 
jeder, aber sie waren schwach; dagegen interessierten ihn astronomische und 
naturwissenschaftliche Gegenstände. Wenn der Wein für Alexander der 
Sorgenbrecher war und blieb, so mied nach durchschwärmter Jugendzeit 
der nüchterne Römer denselben durchaus. Wie allen denen, die in der 
Jugend der volle Glanz der Frauenliebe umstrahlt hat, blieb ein Schim¬ 
mer davon unvergänglich auf ihm ruhen: noch in späteren Jahren 
begegneten ihm Liebesabenteuer und Erfolge bei Frauen und blieb 
ihm eine gewisse Stutzerhaftigkeit im äußeren Auftreten, oder richtiger 
das erfreuliche Bewußtsein der eignen männlich schönen Erscheinung. 
Sorgfältig deckte er mit dem Lorbeerkranz, mit dem er in späteren 
Jahren öffentlich erschien, die schmerzlich empfundene Glatze, und 
hätte ohne Zweifel manchen seiner Siege darum gegeben, wenn er 
damit die jugendlichen Locken hätte zurückkaufen können. Aber wie 
gern er auch noch als Monarch mit den Frauen verkehrte, so hat 
er doch nur mit ihnen gespielt und ihnen keinerlei Einfluß über sich ein¬ 
geräumt ; selbst sein vielbesprochenes Verhältnis zu der Königin Kleopatra 
war nur angesponnen, um einen schwachen Punkt in seiner politischen 
Stellung zu maskieren. Cäsar war durchaus Realist und Verstandes¬ 
mensch; und was er angriff und tat, war von der genialen Nüchternheit 
durchdrungen und getragen, die seine innerste Eigentümlichkeit bezeichnet. 
Ihr verdankte er das Vermögen, unbeirrt durch Erinnern oder Er¬ 
warten energisch im Augenblick zu leben; ihr die Fähigkeit, in jedem 
Augenblick mit gesammelter Kraft zu handeln und auch dem kleinsten 
und beiläufigsten Beginnen seine volle Genialität zuzuwenden; ihr die 
Vielseitigkeit, mit der er erfaßte und beherrschte, was der Verstand be¬ 
greifen und der Wille zwingen kann; ihr die sichere Leichtigkeit, mit der 
er seine Perioden fügte wie seine Feldzugspläne entwarf; ihr die „wunder¬ 
bare Heiterkeit", die in guten und bösen Tagen ihm treu blieb; ihr 
die vollendete Selbständigkeit, die keinem Liebling und keiner Mätresse, 
ja nicht einmal dem Freund Gewalt über sich gestattete. Aus dieser 
Verstandesklarheit rührt es aber auch her, daß Cäsar sich über die Macht
	        
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