Full text: [Band 2, [Schülerband]] (Band 2, [Schülerband])

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Wind wild aufgeregte Rhein; fast senkrecht stieg über uns der 
hohe Fels mit seinen Terrassen empor, und wir mußten auf den 
immer schmaler werdenden Mauern ihn erklimmen, mit den Händen 
uns anhalten, um nicht herunter zu stürzen, und fanden oft nur 
eben Raum genug, um einen unsrer Füße festzustellen. So hiengen 5. 
wir zwischen dem Himmel und den: Rhein, ein einziger Fehltritt, 
ein losbröckelnder Stein, und wir waren in Gefahr, der arm'en 
Jutta in ihrem nassen Grabe Gesellschaft zu leisten. Dennoch 
konnten wir nicht zurück, denn an Heruntersteige: war auf diesen: 
Wege nicht zu denken, ja ich wagte es nicht einmal herunter zu 10. 
blicken, so schwindelerregend war mir die grausenvolle Tiefe. Wie 
die Winzer es anfangen, um hier die Reben zu pflegen und später 
die Trauben zu sammeln, ist mir unbegreiflich. Endlich nach einer 
langen ängstlich ermüdenden Stunde waren wir oben in: kühlenden 
Schatten des Waldes, und nie in meinem Leben habe ich mich 15. 
mehr über ein schwer errungenes Ziel gefreut, als über dieses. 
Der ganze Wald, der den ganzen Bergrücken krönt, ist durch aus¬ 
gehauene Gänge zu einen: Park umLeschaffen. Diese gewähren hie 
und da wunderschöne einzelne Blicke tief in das Rheinthal hinein; 
besonders anmuthig ist eine Hütte, von welcher man durch eine 20. 
Oeffnung des Waldes nur Bacharach und seine nächste höchst roman¬ 
tische Umgebung erblickt, aber den Preis von allen trägt, näher 
an Rüdesheim, ein offener, von Säulen getragener Tempel davon, 
den ich schon von Bingen aus durch den Wald schimmern gesehen 
hatte. Geblendet von der mich rings umgebenden Pracht der Natur, 25. 
stand ich lange in stummem Entzücken auf diesen: Platz, nicht nur 
dem schönste:: auf dem Niederwalde, sondern vielleicht in der ganzen 
Gegend. Tief unten liegt in: Vorgrunde das freundliche Rüdesheim 
mit seinen alten Burgen, seitwärts über den: Stron: das dunkle 
Bingen, weiterhin die Rochuscapelle im Sonnenstrahl, ihr gegenüber, 30. 
diesseits, der Johannisberg, und nun der ganze Rheingau mit 
allen seinen Städten und Weinbergen und Gärten und Dörfern, 
alle Krümmungen des prächtig hinwogenden Rheins, alle seine 
vielen gartenähnlichen Inseln. Der Odenwald, die Vogesen, der 
Donnersberg begrenzen in blauer Ferne die weite Aussicht, wie 35. 
leicht an: Horizont hinschwebende Wolken. 
81. Des Schweizerlandes erste Gestalt.* 
Im Norden des Landes Italien stellen sich die Alpen dar; von 
Piemont bis nach Istrien, ein großer halber Mond, wie eine him¬ 
melhohe weiße Mauer nüt unersteigbaren Zinnen, dritthalbtausend 40. 
Klaftern hoch über dem Mittelmeer. Dean weiß keinen Menschen, 
welcher den weißen Berg oder das Schreckhorn erstiegen hätte; n:an 
sieht ihre pyramidalischen Spitzen nüt unvergänglichem Eise bepan- 
zert, und von Klüften umgeben, deren unbekannten Abgrund grauer 
Nr. 81 und 82 von Johannes (v.) Müller.
	        
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