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146. Das taube Mütterlem.
1. Wer öffnet leise Schloß und Thür?
Wer schleicht ins Haus hinein?
Es ist der Sohn, der wiederkehrt
Zum tauben Mütterlein.
2. Er tritt herein! Sie hört ihn nicht,
Sie saß am Herd und spann:
Da tritt er grüßend vor sie hin
Und spricht sie „Mutter" an.
3. Und wie er spricht, so blickt sie auf,
Und — wundervoll Geschick —
Sie ist nicht taub dem milden Wort,
Sie hört ihn mit dem Blick!
4. Sie thut die Arme weit ihm auf,
Und er drückt sich hinein,
Da hörte seines Herzens Schlag
Das taube Mütterlein.
5. Und wie sie nun beim Sohne sitzt
So selig, so verklärt —
Ich wette, daß taub Mütterlein
Die Engel singen hört. Fr. Halm.
147. Wenn du noch eine Mutter hast.
1. Wenn du noch eine Mutter hast, so danke Gott und sei
zufrieden;
Nicht allen auf dem Erdenrund ist dieses hohe Glück beschieden.
Wenn du noch eine Mutter hast, so sollst du sie mit Liebe Pflegen,
Daß sie dereinst ihr müdes Haupt in Frieden kann zur Ruhe legen.
2. Sie hat vom ersten Tage an für dich gelebt mit bangen
Sorgen;
Sie brachte abends dich zur Ruh' und weckte küssend dich am
Morgen.
Und warst du krank, sie Pflegte dein, den sie mit tiefem Schmerz
geboren;
Und gaben alle dich schon auf — die Mutter gab dich nicht verloren.
3. Sie lehrte dir den frommen Spruch, sie lehrte dir zuerst
das Reden;
Sie faltete die Hände dein und lehrte dich zum Vater beten.
Sie lenkte deinen Kindessinn, sie wachte über deine Jugend;
Der Mutter danke es allein, wenn du noch gehst den Pfad der Tugend.