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Recht ergehen laßen wird, weiß ich nicht; denn einen Heerhaufen, ver-
nehm ich, zog er zusammen und steht im Begriff, dich im Schloße zu
Lützen aufzuheben; inzwischen, wie ich dir schon gesagt habe, an mei¬
nem Bemühen soll es nicht liegen." Und damit stund er auf und
machte Anstalt, ihn zu .entlaßen. Kohlhaas meinte, daß seine Für¬
sprache ihn über diesen Punkt völlig beruhige; worauf Luther ihn mit
der Hand grüßte, jener aber plötzlich ein Knie vor ihm senkte und
sprach: er habe noch eine Bitte auf seinem Herzen. Zu Pfingsten
nämlich, wo er an den Tisch des Herrn zu gehen pflege, habe er die
Kirche dieser seiner kriegerischen Unternehmung wegen versäumt; ob er
die Gewogenheit haben wolle, ohne weitere Vorbereitung seine Beichte
zu empfangen und ihm zur Auswechselung dagegen die Wolthat des
heiligen Sacraments zu erteilen. Luther, nach einer kurzen Besinnung,
indem er ihn scharf ansah, sagte: „Ja, Kohlhaas, das will ich thun!
Der Herr aber, dessen Leib du begehrst, vergab seinem Feind. — Willst
du," setzte er, da jener ihn betreten ansah, hinzu, „dem Junker, der
dich beleidigt hat, gleichfalls vergeben, nach der Tronkenburg gehen,
dich auf deine Rappen setzen und sie zur Dickfütterung nach Kohlhaa-
senbrück heimreiten?" — „Hochwürdiger Herr", sagte Kohlhaas errö-
lhend, indem er seine Hand ergriff, — „Nun?" — „der Herr auch
vergab allen seinen Feinden nicht. Laßt mich den Kurfürsten, meinen
beiden Herren, dem Schloßvogt und Verwalter, den Herren Hinz und
Kunz und wer mich sonst in dieser Sache gekränkt haben mag, verge¬
ben, den Junker aber, wenn es sein kann, nöthigen, daß er mir die
Rappen wider dick füttere." — Bei diesen Worten kehrte ihm Luther
mit einem misvergnügten Blick den Rücken zu und zog die Klingel.
Kohlhaas, während dadurch herbeigerufen, ein Famulus sich mit Licht
in dem Vorsaal meldete, stand betreten, indem er sich die Augen trock¬
nete, vom Boden auf, und da der Famulus vergebens, weil der Riegel
vorgeschoben war, an der Thür wirkte, Luther aber sich wieder zu
seinen Papieren niedergesetzt hatte, so machte Kohlhaas dem Mann die
Thür auf. Luther, mit einem kurzen, auf den fremden Mann gerich¬
teten Seitenblick, sagte dem Famulus: „Leuchte!" worauf dieser, über
den Besuch, den er erblickte, ein wenig befremdet, den Hausschlüßel
von der Wand nahm und sich, auf die Entfernung desselben wartend,
unter die halb offene Thür des Zimmers zurückbegab. — Kohlhaas
sprach, indem er seinen Hut bewegt zwischen beide Hände nahm: „Und
so kann ich, hochwürdigstcr Herr, der Wolthat, versöhnt zu werden, die
ich mir von Euch erbat, nicht teilhaftig werden?" Luther antwortete
kurz: „Deinem Heiland, nein! dem Landesherrn, — das bleibt einem
Versuch, wie ich dir versprach, vorbehalten*" Und damit winkte er dem
Famulus, das Geschäft, das er ihm aufgetragen, ohne weiteren Aufschub
abzumachen. Kohlhaas legte mit dem Ausdruck schmerzlicher Empfin¬
dung seine beiden Hände auf die Brust, folgte dem Mann, der ihm
die Treppe hinunter leuchtete, und verschwand.
H. v. Kleist.
59. Kriemhild. *)
Wie der rothe Morgen aus trüben Wolken, geht Kriemhild
hervor, als Siegfried sie zum ersten Male sieht. In Sommerzeit
*) Siehe I. Teil Nr. 92 und 93.