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Da entschloß er sich zuhand
Und klopfte heftig an die Wand.
Er rief: „Lasset mich hinein!"
Der Meister drauf: ,Es kann nicht sein!
305 Ich habe noch nicht Zeit dazu,
Daß ich die Tür Euch auftu'?
„Nein, Meister, nein, nur auf ein Wort!"
-Lieber Herre, nicht sofort!
Wartet, bis dies Werk geschehn!‘
310 „Nein, ich muß zuvor Euch sehn!"
,So redet mit mir durch die Wand?
„Die Sach' ist nicht danach bewandt!"
Da öffnet jener die Tür im Nu.
Der arme Heinrich trat hinzu,
315 Wo er die Magd gebunden fand.
Zum Meister sprach er allzuhand:
„Dies Kind ist gar so wonniglich.
Fürwahr, es reut und jammert mich,
Seinen Tod mit anzusehn.
320 Mag Gottes Will' an mir geschehn,
Frei aber geben wir das Kind!
Worüber wir eins geworden sind,
Das Silber will ich voll Euch geben,
Das Mägdlein aber laßt am Leben!"
325 Sobald vernommen die treue Magd,
Daß ihr das Sterben sei versagt,
Treibt wilder Unmut ihre Zucht
Und gute Sitte in die Flucht.
Sie kratzt sich blutig, zerrauft ihr Haar;
330 So kläglich ihr Gebaren war.
Daß jedem, der sie sah, die Zähren
In die Augen getreten wären.
Laut schrie das Mägdlein je und je:
„Weh mir Armen, weh, o weh!
335 Wie wird es mir ergehen!
Verloren soll ich sehen
Die reiche Himmelskrone?
Die wäre mir zum Lohne
Gegeben für die kurze Not.
340 Jetzt erst bin ich wirklich tot.
O weh, allmächtiger Jesus Christ,
Welch Heil uns nun genommen ist,
Meinem Herren sowie mir!