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Morgen brach an und die Königin wollte mit ihren Frauen Zur
Frühmesse gehen; da meldete ihr ein Kämmerer, vor dem Gemach
liege ein Held erschlagen. Mit einem Schrei sank die Unglückliche
zu Boden; sie wußte, wer es war. Jammerrufe hallten durch Kammer
und Schloß. Kriemhild hob Siegfrieds schönes, blutiges Haupt mit
ihrer weißen Hand empor und rief: „Dich fällte Meuchelmord! Müßt'
ich, wer es vollbrachte, ich wollt' es rächen immerfort!"
Zur Rache scharten sich die Mannen des hohen Königs Siegmund;
mit Mühe hielt Kriemhild sie vor einer übereilten Tat zurück. Um
den Mörder zu erkennen verlangte sie, daß nach altem Bahrrecht
alle Jagdgenossen an der im Dome aufgebahrten Leiche vorübergehen
sollten: als Hagen dem Ermordeten sich näherte, da bluteten dessen
Wunden von neuem und machten dadurch den Mörder offenbar.
Ohnmächtig Rache zu üben, kehrte der König Siegmund zurück
in sein Reich, Kriemhild aber ließ sich beim Grabe Siegfrieds eine
Wohnung bauen. Dort lebte sie der Trauer um den Geliebten und
dem Gedanken an furchtbare Rache.
d) Kriemhilds Rache.
A.
Vierthalb Jahre sprach Kriemhild kein Wort mit ihrem Bruder
Günther; Hagen erschien nie vor ihrem Angesichte. Als sie aber
den unermeßlichen Schatz an rotem Gold und edlem Gestein, den
Nibelungenhort, den einst Siegfried ihr zur Morgengabe geschenkt, her¬
beiführen ließ und mit vollen Händen Armen und Reichen davon
spendete, da entriß ihr Hagen, aus Furcht, sie wolle sich dadurch
einen Anhang gewinnen, den Schatz und versenkte ihn in den Rhein.
Von nun an führten die Burgunden selbst den Namen Nibelungen
und an sie heftete sich auch der geheimnisvolle Fluch, der auf dem
Golde lag.
Dreizehn Jahre vergingen: da warb der Hunnenkönig Etzel,
dessen Gemahlin Frau Helche gestorben war, um die edle Kriemhild
und schickte zu diesem Zwecke den Markgrafen von Bechelaren, Rüdeger,
mit großem Gefolge nach Worms. Als Rüdeger der Witwe Siegfrieds
schwur, wenn ihr jemand ein Leid antue, wolle er der erste sein
das zu rächen, da reichte sie ihm die Hand zum Zeichen der Zusage
und zog nach dem Hunnenlande im fernen Osten.
Und wieder vergingen Jahre um Jahre. Inmitten all der
Münchener Lesebuch. IV. S. Auslage. 4