Full text: Lesebuch für Volksschulen

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(Es war einmal ein reicher Schäfer, dem gehörte weit und breit 
hier alles Land. 
Würziges Gras bedeckte statt der dürren Heide die Flächen, statt des 
sauren Rischs das Gelände. 
Tausende von Schafen waren sein, nicht magere, ärmliche Zchnucken, 
nein, hohe, feinwollige, stolze Tiere, mit Vliesen wie Seide. 
hier, wo der Hügel sich erhebt, stand sein Haus, aus behauenen 
Steinen festgefügt, nicht ärmlicher Rrt aus (Driftein und rohen Stämmen 
wie der übrigen Bauern Hütten. Darum hießen sie ihn den Schäferkönig. 
Sein Reichtum aber tötete seine Seele und härtete sein herz. 
Wenn die anderen Bauern und Schäfer an den heiligen Tagen den 
Göttern im Schatten der Tichkämpe auf heiligem Stein Pferdeopfer brachten 
oder mit lodernden Holzstößen die Erhabenen priesen, dann lachte er und 
schalt sie Toren und Tröpfe. 
Rls seine Knechte von den Gpferstätten die heiligen Mührenschädel 
heimtrugen und sie an die Giebel seines Hauses hingen, stieß er mit 
seinem silberbeschlagenen Hütestock die Gpfergedenken herab und schleu¬ 
derte sie in die herdflamme. 
Wenn Wode in stürmischen Herbstnächten in den Wolken weidwerkte 
mit hussa und horridoh und hu und Hatz, dann schloß der Schäferkönig 
nicht Tor und Luke und legte sich zur Ruhe, sondern frech trat er in 
das Tor und lauschte dem Gejaid der himmlischen. 
Die klugen Männer, die weisen Frauen warnten ihn, doch er lachte 
über ihre Warnworte.^/ 
Linst stand er an einem heißen Sommertage vor seinem Steinhause,- 
zu seinen Füßen lagen seine Lieblingshunde Donner und Blitz, weiß 
der eine, schwarz der andre. Da zog es schwarz heraus mit weißen 
Wetterköpfen in CDft und West, Süd und Nord. 
Der Schäferkönig setzte seine silberne Pfeife an den Mund und 
pfiff in alle vier Winde, daß es gellend nach Ost und West, Süd und 
Rord hinausklang,- da trieben seine Knechte die Herden von allen Rich¬ 
tungen heran, daß es krimmelte und wimmelte wie ein Meer. 
Immer schwärzer wurden die Wolken, immer gelber die Flecken 
darin, immer lauter der Donner; die Knechte fielen ihrem Herrn zu 
Füßen und flehten ihn an: „Herr, opfere dem Tor, daß er seinen 
Steinhammer nicht nach uns werfe!" 
Der Schäferkönig aber lachte und schalt. 
Da knallte es, als wäre die Erde geborsten, da lohte es, als wäre 
das unterirdische Feuer hervorgebrochen, und nach allen Richtungen hin 
stoben die Herden auseinander, stürzten in Gräben, sanken in die Tränken, 
stolperten über Heck und Steg.
	        
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