Full text: [Teil 3 = Oberstufe, [Schülerband]] (Teil 3 = Oberstufe, [Schülerband])

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,Bleiben Sie noch eine Weile. Reden wir doch zuerst 
ein wenig allein miteinander', sagte der Buchhalter, gegen die 
Wand gekehrt, ohne mich anzusehen. Auch ich kann nicht 
aufschauen, und es ist mir, als ob mich ein Schuß ins Herz 
getroffen hätte. 
Der Buchhalter ist gar wohlgemut; er hält den zusammen¬ 
gefalteten Schuldschein vor den Mund und pfeift darauf ein 
lustig Lied, ein ganz lustiges, und es ist, wie wenn zwei Men¬ 
schen pfeifen, so zerschneidet das Papier den Ton. Dann 
nimmt er ein Stück Holz, das auf dem Pulte liegt, bricht es 
mitten entzwei und sagt: ,Die eine Hälfte ist für Sie.' 
Mir wirbelt’s im Kopfe. Ich weiß nicht mehr, wo ich bin, 
und was ich mein Lebtag nicht gewagt hätte, tu’ ich doch — 
ich setze mich rittlings auf den lederbesetzten hohen dreibeini- 
gen Stuhl, der vor dem Pulte des Stotz steht. Da hat er 
immer gesessen und hat markten können, daß er einem das 
Blut unter den Nägeln herausgedrückt. «letzt ist der Stuhl 
leer, und auf dem Pulte liegt kein Papier und wartet auf die 
Unterschrift. Darf man nicht von dem Blutgelde wiederholen, 
was man kriegen kann? So geht mir’s durch den Kopf; aber 
ich kann kein Wort reden. 
Der Buchhalter wendet sich um und reicht mir die Hand. 
Diese Handreichung sagt viel. Niemand weiß von dem Gut¬ 
haben als er und ich. Der Buchhalter tut mit, er tut gern mit, 
wenn ich ihm seinen Teil gebe, und die Sache ist aus. Ich 
bin plötzlich bei Vermögen, und warum sollte ich nicht? Der 
Stob hat großen Verdienst an mir gehabt, und er ist reich, 
sehr reich. Und ich — wenn ich jetzt zur Tür hinausgeh’, 
bin ich plötzlich ein Mann von Vermögen. Aber was noch 
außerdem? Pah! Tausende von Menschen würden an deiner 
Stelle zugreifen und vergnügt weiterleben. Wie viele haben 
gewiß schon so mit dem Buchhalter abgemacht, warum willst 
du allein der ehrliche Narr sein? Friß, derweil du an der 
Krippe stehst! Wie lang mußt du arbeiten, bis du so viel nur 
verdienst, viel weniger, daß du es erübrigen kannst. — Ich 
stehe auf, ich will einen Schritt gehen, aber ich kann nicht vom 
Fleck, und ich stampfe auf und sage fast laut nein! 
Der Buchhalter macht das Buch zu, dreht den Schlüssel 
am Kasten ab, zieht einen andern Rock an, greift nach seinem 
Hut und steckt meinen Schuldschein in die Tasche. Ich be¬ 
komme eine Höllenangst vor dem Buchhalter, und plötzlich reiß’ 
ich mich los und fasse die Tür und renne und stolpere, daß
	        
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