Full text: Lesebuch für Schlesien

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Über das ganze Gebiet des Riesengebirges ist die Leinenweberei ver— 
breitet, doch werden auch Baumwollwaren gefertigt. Tausende von Men— 
schen arbeiten dabei in Fabriken, aber viele ziehen immer noch die Hand—⸗ 
weberei im eigenen Hause der Beschäftigung in den Fabriken vor. 
Der Mittelpunkt für den Leinenhandel des Riesengebirges ist Hirsch— 
berg am Bober. Diese freundliche Stadt liegt in einer Ebene mit vielen 
blühenden Dörfern. Die Hirschberger Ebene erhebt sich nur 320 bis 
400 Meter über das Meer. Von hier aus macht daher das Riesengebirge 
als eine bis über tausend Meter aufsteigende Riesenmauer den großartigsten 
Eindruck. 
3. Bei Hirschberg beginnen die meisten Besucher des Riesengebirges 
ihre Wanderung. Haben wir den kahlen, nur von knorrigem Knieholz 
bestandenen Kamm des Gebirges erreicht, so befinden wir uns in dem 
Reiche des Berggeistes Rübezahl. Einst hauste hier der Sage nach ein 
Riesengeschlecht. Es geriet aber mit den Göttern in Streit, wurde besiegt 
und zur Strafe für seine Übeltaten vom Erdboden vertilgt. Nur der alte 
Herr der Berge, Rübezahl, spukt zuweilen noch in seinem alten Reiche. 
Hier zeigt er sich als großmütiger Herr, bewirtet die Leute in seinen unter— 
irdischen Palästen und entläßt sie, reich beschenkt mit seinen Schätzen. 
Dort neckt er als tückischer Berggeist die Menschen und spielt ihnen allerlei 
Possen. Er macht es gerade so wie die Berge, die zu lachen scheinen, wenn 
sie von der Sonne beleuchtet werden, aber finster und grollend ausschauen, 
wenn der graue Nebel sie umzieht. 
4. Während unsrer Wanderung auf dem Kamme des Gebirges er— 
blicken wir auf der schlesischen Seite starre Felsenmassen, zerklüftete Wände 
und jähe Abgründe, auf der böhmischen Seite dagegen saftige Wiesen und 
Moore. Die bekannteste dieser Wiesen ist die Elbwiese. Ein schmaler Fuß— 
weg führt seitwärts vom Kamme zu einem von Menschenhänden um— 
mauerten Born. Wir stehen an der Wiege der Elbe. Verstärkt durch 
mehrere kleine Bäche vom Gebirge, hüpft und tanzt die muntere Tochter 
der Elbwiese in mehreren kleinen Wasserfällen den abschüssigen Berg 
hinunter. Sie wagt mit dem Elbfall den kühnen Sprung von einer 
fünfzig Meter hohen Felswand in die Tiefe und windet sich dann im Bogen 
durch das böhmische Hügelland. Wir wünschen ihr Glück zur weiteren 
Lebensreise und kehren auf den Kamm des Riesengebirges zurück, um 
unsre Wanderung fortzusetzen. 
5. Wir gelangen zur Riesenbaude, die am Fuße der Schneekoppe, 
der Königin des Gebirges, liegt. Von hier aus führen zu dem granitenen 
Gipfel der Koppe zwei gute Wege empor. Wenn der Himmel klar ist, und die 
Sonne mit ihren Strahlen die Landschaft vergoldet, dann sieht man dort 
oben auf dem Berge Schlesien und Böhmen wie eine Landkarte vor sich
	        
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