Full text: [Teil 2 = Oberstufe, [Schülerband]] (Teil 2 = Oberstufe, [Schülerband])

— 10 
Aber bald trat er schrecklich gewaffnet wieder hervor. Ein goldener 
Harnisch deckte seine Brust; an der Seite trug er ein riesiges, scharfes Schwert, 
in der Linken aber einen Schild, so groß wie ein Thor und einen Schuh 
dick, und auf dem Haupte hatte er einen Helm von hartem Stahl, der leuchtete 
wie der Glanz der Sonne auf den Meereswellen. Und nun begann wieder 
der harte Kampf zwischen den beiden. Laut hallten die Schläge durch den 
dunklen Wald, und die Funken stoben aus den Helmen, daß die Finsternis 
davon erhellt ward. Aber Siegfried unterlief das lange Schwert des Riesen 
und hieb ihm den Panzer in Stücke und brachte dem Unhold sechzehn tiefe 
Wunden bei, so daß ihm das Blut vom Leibe troff. Da flehte Kuperan um 
sein Leben, und Siegfried sagte: „Gern will ich es dir schenken, wenn du 
mir schwörst, mir die Jungfrau gewinnen zu helfen.“ Das schwur der Riese, 
und so war zwischen beiden Friede gemacht; Siegfried riß sich selbst sein 
Untergewand vom Leibe und verband mitleidig seines Feindes Wunden damit. 
⸗ 
10 
4. Wie der Aiese wegen seiner Treulosigkeit getölet ward. 
Als der siegreiche Held auf den Felsen hinauf eilte, um Kriemhild zu 
suchen, nahm der tückische Riese, der hinter ihm her ging, die günstige Ge— 
legenheit wahr und schlug ihn unversehens mit einem Faustschlage zu Boden. 
Da lag der edle Siegfried betäubt unter seinem Schilde; rotes Blut quoll 
ihm aus Mund und Nase, und er schien tot zu sein. Ehe sein Feind ihn 
aber vollends mordete, sprang schnell der Zwerg Eugel, der immer in der Nähe 
geblieben war, herbei und deckte über Siegfried eine Tarnkappe, die die wun— 
derbare Eigenschaft hatte, jeden, den sie umhüllte, unsichtbar zu machen. 
Kuperan tobte vor Wut, daß sein Gegner verschwunden war, aber wie er 
25 auch von Baum zu Baum suchte, er vermochte ihn nicht wiederzufinden. 
Inzwischen suchte der gute Zwerg den bewußtlosen Helden wieder zu 
beleben. Als er die Augen endlich wieder aufschlug und seinen Retter neben 
sich sah, sprach er: „Lohne dir Gott, du kleiner Mann, was du an mir 
gelhan hast.“ — „Ja,“ erwiderte der Zwerg, „da hätte es dir schlimm ergehen 
können. Aber nun folge auch meinem Rate und gieb es auf, die Jungfrau 
zu befreien.“ — Da sagte Siegfried: „Nimmermehr! Und wenn ich tausend 
Leben hätte, so wollte ich sie alle um die Jungfrau wagen.“ 
Sobald er sich also einigermaßen erholt hatte, warf er die Tarnkappe 
fort und stürmte von neuem auf den Riesen ein. Wieder schlug er ihm acht 
tiefe Wunden, bis er um Gnade flehte. Wohl hätte der Treulose sie nicht 
verdient, aber Siegfried bedachte, daß er ohne ihn nicht an den Drachenstein 
gelangen könnte, und so schenkte er ihm abermals das Leben, jetzt aber war 
er vorsichtiger und ließ ihn vorangehen. 
So gelangten sie endlich an den Drachenstein. Ein unterirdischer Gang 
40 führte zu der Thür desselben; der Riese schloß sie auf, und Siegfried steckte 
den Schlüssel zu sich. Bald waren sie oben auf dem Felsen. Der Drache 
war zum Glück ausgeflogen, die Jungfrau aber erkannte den Helden und 
fing vor Freuden an zu weinen und sprach: „Willkommen, du edler Sieg— 
fried! Wie geht es meinem Vater und meiner Mutter zu Worms, und wie 
leben meine Brüder?“ Siegfried erzählte ihr alleßs und daß er gekommen 
wäre, sie zu befreien. Indessen trat der Riese heran und sagte: „Hier in
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.