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sich diesen näherte, erhoben sie sich sämtlich und liessen den Greis in ihre
Mitte sich niedersetzgen. Da brach die ganze Versammlung in laute Bei—
fallsbezeugungen aus. Liner von den Gesandten aber sagte darauf: „Die
Athener wissen wohl, was recht ist; aber sie thun nicht, was recht ist.“
Z2schoxkeo.
181. Die Stubenfliege.
Die Stubenfliege kennt zwar jedermann; aber nur wenige haben sie
so genau angesehen, daß sie eine richtige Vorstellung davon besäßen. Das
Tier hat am Kopfe zwei große Augen, zwei Fühler und einen Saugrüssel.
Um den Bau der Augen kennen zu lernen, muß man sie durch ein Ver—
größerungsglas betrachten oder ein Stückchen davon unter ein Mikroskop
bringen Man sieht dann, daß jedes derselben aus fast 4000 sechseckigen
Flächen besteht, von denen jede gewölbt und vollkommen wie ein Auge ein—
gerichtet ist. Durch diesen merkwürdigen Bau ist es der Fliege möglich,
mit ihren sonst unbeweglichen Augen allerwärts zugleich hinzusehen. Auf
dem Scheitel stehen noch drei einfache Punktaugen. Die Fühler sind vor
dem Kopfe eingefügt und bestehen aus drei Gliedern, von denen das letzte
eine feine, sehr schön gefiederte Borste trägt. Der Rüssel, mit dem die
Fliege uns so oft belästigt, hat an der Spitze zwei fleischige Lippen, die
zum Aufsaugen von Flüssigkeit sehr geeignet sind. Der Körper ist mit
Borsten besetzt, die unter dem Mikroskop wie krumme Pfriemen aussehen.
An den Füßen sitzt ein Ballen, aus dem eine klebrige Feuchtigkeit schwitzt,
mittels welcher sich die Fliege an Fenstern und Spiegeln halten kann. Das
Summen, welches sie beim Fliegen hören läßt, entsteht durch schnelles
Reiben der Flügelwurzeln in ihren Gelenkhöhlen.
Das Weibchen legt 60 bis 80 Eier in Mist und andere unsaubere
Stellen. Nach 12 bis 24 Stunden entstehen aus denselben Maden, die sich
nach 14 Tagen in ihrer eigenen Haut in eine braune, tonnenförmige Puppe
verwandeln, aus der bei warmem Wetter nach 14 Tagen die Fliege hervor—
kommt. Da es in jedem Jahre vier Bruten giebt, so ist ihre Vermehrung
außerordentlich groß.
182. Die Posaune des Gerichts.
Gerade dort, wo die Gemarkungen zweier Dörfer sich scheiden, mitten
im Walde, wurde in der Frühlingsnacht, zur Zeit des Vollmonds, eine
schreckliche Dhat vollbracht. Ein Mann kniete auf einem andern, der
leblos dalag. Eine Wolke verhüllte das Antlitz des Mondes; die Nachti—
gall hielt inne mit ihrem schmetternden Gesang, als der Knieende den
Dahingestreckten aussuchte und alles, was er fand, zu sich steckte. Jetzt
nahm er ihn auf die Schulter und wollte ihn hinabtragen an den Strom,
der fernher rauschte, um ihn dort zu versenken. Plötzlich blieb er stehen,
keuchend unter der toten Last. Der Mond war herausgetreten und warf
sein sanftes Licht durch die Slaͤmme, und es war, als ob auf den Strahlen
des Mondes die Töne eines herzergreifenden Liedes getragen würden.
Ganz nahe blies ein Posthorn die Weise des Liedes: „Denkst du daran!“
Der Wiederhall in Thal und Feld gab es zurück, und es war, als ob die
Bäume und die Berge sängen: „Denkst du daran!“ Dem Tragenden
war's, wie wenn die Leiche auf seinem Rücken lebendig würde und ihn