Full text: [Teil 5 (Oberstufe, 2. Abteilung), [Schülerband]] (Teil 5 (Oberstufe, 2. Abteilung), [Schülerband])

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Die Kolibris, deren es eiwa vierhundert verschiedene Arten giebt, 
sind in Amerika überall zu finden, wo Blumen blühen. Von ihnen 
hängt ihr ganzes Dasein, ihr Wohl und Wehe ab. Die Mannig— 
faltigkeit der Blumenwelt des westlichen Erdteils bedingte den Arten— 
reichtum dieser lieblichen Vogelfamilie. Jede Art besucht die Pflanzen, 
welche die ihr zur Nahrung dienenden Insekten im Grunde der Blumen. 
krone beherbergen. Auf Wiesen und Feldern, in Gärten und Wäldern, 
in den Thälern und auf den Bergen findet man Gelegenheit, ihr 
munteres Leben und Treiben zu bewundern. Selbst in den Grenzen 
des ewigen Schneees erfreuen sie das Auge des Menschen, der, vom 
Wissensdrange getrieben, das Gebiet trostloser Ode und Einsamkeit zu 
betreten wagt. Sie sind die einzigen, die hier neben dem in den Lüften 
kreisenden Kondor das Bild beängstigender Stille und starrer Ruhe 
äußerst wohlthuend beleben. 
Wie oft die Kolibris im Laufe eines Jahres brüten, darüber ist 
man bis jetzt noch nicht genau unterrichtet. Wenn man in Betracht 
zieht, daß sie trotz aller Kraftäußerung und Keckheit doch immerhin nur 
sehr schwächliche und hinfällige Geschöpfe sind, und ferner bedenkt, daß 
sie überall und unausgesetzt unter der Verfolgungswut des Menschen 
und anderer Geschöpfe zu leiden haben, und daß sie niemals mehr 
als zwei Junge zeitigen, so darf man wohl annehmen, daß die in den 
südlichen Staaten ansässigen drei- bis viermal, die in den Nordstaaten 
wohnenden zweimal zur Brut schreiten, weil anders das zahlreiche 
Vorhandensein aller Arten nicht zu begreifen wäre. 
Die Nester aller Kolibriarten, die meistens nicht größer als eine 
halbe Walnußschale und noch kleiner sind, zeigen in Form und Bau— 
art eine merkwürdige Übereinstimmung. Fast alle bestehen zum größten 
Zeile aus Pflanzenwolle und sind mit Moos, Flechten und Farn— 
blättern bekleidet und ausgelegt. Der Standort ist bei den verschiedenen 
Arten verschieden. Während einige ihre Kinderwiege in die Gabel 
eines wagerecht hängenden Zweiges bauen, befestigen andere sie zwischen 
den Halmen und Blättern des Grases, in den Furchen der Baumrinde, 
auf der Oberseite eines Astes oder zwischen den Blättern des Farn⸗ 
krautes. Wenn das Männchen bei der Herstellung des zierlichen Filz⸗ 
werkes auch insoweit bethätigt ist, als es Material herbeizuschaffen 
sucht, so ist doch das Weibchen als der eigentliche Baumeister anzusehen. 
Das Nest mit seinen zierlichen Insassen gewährt einen entzückenden An⸗ 
blick. Man könnte sich leicht versucht fühlen, die Wiege samt den darin
	        
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