Full text: Lesebuch für die Oberstufe der evangelischen Volksschulen des Herzogtums Oldenburg

Letzte Station. 
Man kann wohl denken, daß die Leute nach der heißen und harten Arbeit 
die folgende Nacht einen gesunden Schlaf getan; sie wachten auch nicht eher auf, 
als bis die Herren von Straßburg mit klingendem Spiel unter den Fenstern 
ihrer Herberge aufzogen, um sie nach dem Schießplatz zu geleiten. Dort waren 
dann die Augen aller Tausende auf diese Schweizer gerichtet, die auch zeigten, 
daß sie nicht weniger scharf und sicher ins Schwarze der Scheibe zu schießen 
wußten, als sie mit Kraft und Ausdauer die Ruder geschwungen hatten, mit 
einem Worte: sie bewährten sich in allen Stücken als wärre Söhne ihres großen 
Ahnherrn Wilhelm Tell. Auch war unter den fremden Schützen keiner, der sie 
um die Ehre beneidet hätte; „denn,“ sagten sie aus einem Munde, „die Männer 
von Zürich haben den Meisterschuß getan, ihr Schiff ist wie ein Pfeil ge— 
schossen in das Herz von Straßbuͤrg.“ 
Nach dreien Tagen nahmen sie Abschied und machten sich auf den Rückweg. 
Sie stiegen aber nicht wieder in ihr Schiff, sondern die Straßburger hielten 
Pferde und Wagen für sie bereit, und der ganze Rat gab ihnen zu Pferde das 
Geleit bis an die Grenze. Auch erhielt jeder Schweizer eine Fahne mit dem 
Stadtwappen, und an jeder Fahne hing ein seidenes Beutelchen mit fünf Denk⸗ 
münzen, die eigens zum Andenken an ihre Tat geprägt waren. Endlich zogen 
zwei reisige Boten mit bis Zürich, die unterwegs ihnen Herberge und Zeche 
besorgten. Nun ist zwar durch den alten Meister Fischart, der die Geschichle 
von dem „glückhaften Schiff“ in schönen Reimen beschrieben hat, genau be⸗ 
kannt, wo sie jeden Tag zum Essen und jede Nacht zum Schlafen einkehrten; 
allein das erlaßt ihr mir wohl zu berichten; — genug, mit Hülfe von einigen 
dreißig Wagenrädern und etwa hundert raschen Pferdebeinen legten sie in fuͤnf 
Tagen den Weg zurück, welchen sie zu Anfang in achtzehn Stunden gemacht 
hatten. Den 28. Juni 1576 waren sie wieder in Zürich, und dami endel 
die Geschichte. 
Aber der Hirsebreil — Ei seht, fast hätt' ich den vergessen. Also erzähle 
ich noch in aller Kürze, daß unsre Schiffer, als sie in Straßburg ans Land 
stiegen, samt dem großen Topf in gutem Schritt, Paar bei Paar und von viel 
Volks umringt, auf das Rathaus zogen, wo in dem großen Saal viele Herren 
vom Rat und der Bürgerschaft und eine Menge fremder Schützen versammelt 
saßen. Hier setzten sie den großen Topf mitten auf den Tisch, und der Rats— 
herr Kaspar Thomann, der mit unter den fünfen war, sprach also: „Edle 
Herren vom Rat, ehrenfeste, biedere Bürger der guten, freien Stadt Straßburg! 
Die freie Stadt Zürich entbietet Euch durch uns ihren Gruß samt der Bille um 
Bewahrung und Erneuerung aller alten Freundschaft, Treue und Gemeinschaft, 
die von der Väter Zeiten her zwischen diesen beiden guten, freien Städlen bes 
standen. Sollte aber jemand denken, wir wären zu weit entfernt, um mit 
rechtem Ernst Freundschaft halten zu können, indem es die Freundschaft erfordert, 
sich in der Not augenblicklich beizuspringen, der wisse, daß wir nahe genug sind, 
unsern Freunden in Straßburg wohl noch ein warmes Gericht auf die Tafel 
zu stellen. — Damit hob er den Deckel auf, ein köstlicher Duft zog mit einer 
Dampfwolke durch den Saal, und mancher, der bei des Ratsherrn Worten noch 
ungläubig gelächelt hatte, verbrannte sich die Zunge an dem weitgereisten Hirsebrei 
Johann Friedrich Breier. 
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