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Aus der Sage und Geschichte des deutschen Volkes.
er noch immer damit, seine Werbung auszusprechen, — „doch die Liebe wob
leis ihr Zauberband“.
Nach einiger Zeit beschloß König Gunther, übers Meer nach Isen—
land (Island) zu fahren, um dort um die schöne Königin Brunhild zu
werben. Brunhild aber war von ungewöhnlicher Kraft und wollte nur
demjenigen sich verloben, der sie im Speerwerfen, Steinwurf und Wettsprung
besiegt habe. Siegfried warnte Gunther vor dem gefährlichen Unternehmen,
doch zuletzt war er bereit, ihm im Kampfe beizustehen, wenn Gunther ihm
die schöne Kriemhild zur Gattin gäbe. Gern willigte der König ein. Von
Hagen und Dankwart begleitet, fuhren Gunther und Siegfried den Rhein
abwärts ins Meer und landeten nach zwölf Tagen bei der Feste Isenstein.
Als die Königin Brunhild dem herrlichen Siegfried vor den andern den Gruß
entbot, sprach er, sie täuschend: „Nicht also, edle Königin, meinem Herrn,
König Gunther, gebührt der erste Gruß; ich aber bin nur sein Dienst—
mann.“ Bald begann das Kampfspiel. Siegfried, der durch die Tarnkappe
sich unsichtbar gemacht hatte, stand Gunther im Kampfe bei, und so wurde die
Heldenjungfrau besiegt. Alle fuhren hierauf, Brunhild mit ihnen, nach dem
Burgundenlande zurück, wo in Worms die Doppelhochzeit gefeiert wurde.
Aber wie froh König Gunther auch war, aus Brunhildens Augen brachen
Thränen, dieweil ihr Gemahl seine Schwester einem Dienstmann verlobt
hatte. Gunther offenbarte ihr das Geheimnis nicht. Die Saat der Lüge, mit
der Gunther und Siegfried Brunhild gewonnen hatten, begann zu keimen.
Nach dem Feste zog Siegfried mit seiner Gattin Kriemhild heim nach Xanten,
wo ihm alsbald sein alternder Vater Siegmund die Herrschaft übergab.
3. Der Haß Brunhildens gegen Kriemhild. Nach zehn Jahren
folgten zur altgeheiligten Zeit der Sonnenwende Siegfried und Kriemhild
einer Einladung ihrer Verwandten nach Worms. Schon waren zehn Tage
des Festes in Frohsinn verflossen, da entspann sich ein harter Streit zwischen
Kriemhild und Brunhild. Beide Königinnen schauten auf hohem Altane
den Kampfspielen der Ritter zu. Keiner that es dem herrlichen Siegfried
gleich. „Wie glücklich bin ich,“ rief Kriemhild aus, „eines solchen Helden
Weib zu sein!“ Brunhild aber erwiderte, daß Siegfried doch nur ihres
Mannes Dienstmann sei; sie habe das von Siegfried selber gehört. Da
antwortete Kriemhild in heißem Zorne: „So muß es sich zeigen, ob mein
Gatte unfrei und leibeigen ist! Noch heute werde ich beim Kirchgang vor
dir das Gotteshaus betreten!“ An der Thür des Münsters aber gebot ihr
Brunhild vor allem Volke: „Halt an! es ziemt der Eigenmagd nicht, vor
ihrer Herrin durch des Münsters Thür zu schreiten.“ Dies Wort wirkte
wie ein Donnerschlag auf das stolze Herz Kriemhildens, und voll Erbitterung
verriet sie das Geheimnis vom Kampfe im Isenlande, indem sie ausrief: