Full text: Zweites Lesebuch für die Oberstufe (Teil 6, [Schülerband])

Die Kreuzzüge. 
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lösers pilgerten, unmenschlich behandelt und manche von ihnen ermordet. 
Ein Moöͤnch, Peter von Amiens (pr. amiäng) hatte diese Greuel gesehen. 
Auf einem Maultiere reitend, barfuß und entblößten Hauptes, mit einem 
Stricke umgürtet, das Kreuz in der Hand, durchzog der Pilger, welcher von 
den Mühen des langen Weges abgezehrt war, Italien und Frankreich. 
Er schilderte die Bedrängnis der Christen und die Entweihung der heiligen 
Orte und bewegte allen das Herz. 
Der Papst berief im Herbste 1095 eine Kirchenversammlung nach 
Clermont (pr. klermöng) in Frankreich. Dort erzählte der Mönch unter 
freiem Himmel vor der großen Versammlung in feuriger Rede von den 
Leiden der Christen im Heiligen Lande. Zuletzt rief er in die unübersehbare 
Menge die Worte hinein: „Jeder verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz 
auf sich, damit er Christum gewinne!“ — Und als nun der Papst selbst 
die Versammelten aufforderte, Jerusalem zu befreien, da riefen alle wie mit 
einem Munde: „Gott will es! Gott will es!“ Alle, welche gelobten, mit 
in das Heilige Land zu gehen, hefteten ein rotes Kreuz auf ihre rechte 
Schulter; daher die Namen: Kreuzfahrer und Kreuzzug. 
2. Im Herbste 1096 brach der große Hauptzug auf; Gottfried von 
Bouillon (pr. buljoͤng) ein edler, tapfrer und frommer Herzog, führte ihn. 
Bei einer Musterung, welche in Kleinasien vorgenommen wurde, fand man 
das ganze Heer auf 300 000 Mann zu Fuß und 100000 Reiter ange— 
wachsen. Die Weiber, Kinder, Mönche und Knechte mit eingerechnet, betrug 
die Zahl des Christenheeres gegen 600 000. Unter unsäglichen Mühen zogen 
sie durch Kleinasien. Sie wurden von Hunger und Hitze gequält, von den 
Türken verfolgt. Nach einer Belagerung von 8 Monaten eroberten sie 
Antiochien. Doch noch ein ganzes Jahr lang hatten sie zu leiden, ehe 
sie Jerusalem erblickten. Namenlose Wonne ergriff sie, als die lang er— 
sehnte Stadt endlich vor ihren Blicken lag. Sie jauchzten und weinten vor 
Freude, küßten den Boden und wären freilich gern gleich eingezogen. Aber 
die Stadt war befestigt und von 40000 Mohammedanern besetzt, während 
das große Kreuzheer auf 20000 Mann zu Fuß und 1500 Reiter zusammen— 
geschmolzen war. Wochenlang wurde die Stadt belagert. Dabei hatten die 
Kreuzfahrer brennenden Durst zu leiden, da weit und breit die Brunnen 
von den Feinden verschüttet waren. 
3. Eudlich wurde die Stadt am 15. Juli 1099 erstürmt. Ein schreck— 
liches Würgen begann in den Straßen. Gottfried nahm daran nicht teil. 
Sobald der Sieg entschieden war, begab er sich, von drei Rittern begleitet, 
in wollenem Pilgergewande und mit entblbßten Füßen aus der Stadt, wallte 
um ihre Mauern, ging durch das Thor, welches gegen den Olberg liegt,
	        
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