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54. Der Seidenspin ier.
Der Seidenspinner ist nicht sowohl wegen seiner Schönheit,
als vielmehr wegen seines großen Nutzens einem jeden Menschen
von ganz besonderem Interesse. Er hat schmutzig- oder gelblich⸗
weiße Flügel, auf denen blaßbraune Streifen und ein mondför—
miger, oft kaum sichtbarer Fleck sich befinden. Der äußere Rand
der s ist ausgerandet. In China einheimisch, wurde
er unter der Regierung Justinians nach Europa gebrächt (551
n. Chr.), indem zwei Mönche die Eier desselben in ihren hohlen
Stöcken aufbewahrten, und die Raupen aus diesen Eiern glücklich
auskrochen. Das Weibchen legt einige Tage hiuter einander
300 —- 400 Eier, welche nicht viel größer als Mohnkörnchen
sind und durch eine Waärme von 18220 Grad in 4—8 Tagen
ausgebrütet werden. Die kleinen Räupchen wachsen schnell ünd
nähren sich von den Blättern des weißen Maulbeerbaumes. Nach
agen hãäuten sie sich zum ersten, 5—7 Tage nach dieser
Häutung zum zweiten, und 1— 8 Tage nach dieser zum dritten
Male. Endlich 5 Tage nachher erfolgt die letzte Häutung, und
5—8 Tage nach dieser fangen sie an, sich einzuspinnen, was sie
vorher dadurch zu erkennen geben, daß sie nicht mehr fressen,
sondern mit Füden im Maule und mit aufgerichtetem Hälse
ünruhig umherlaufen, um einen Ort zu suchen, an dem sie die
Fäden befestigen können. Hat die Raupe endlich diesen Ort,
nämlich dürre Ruthen oder Büschel von Birken- oder anderen
Reisern gefunden, so klebt sie zwei sehr feine Tröpfchen eines
klebrigen Saftes an die Ruthen, bewegt den Kopf hin und her
und bringt so zwei sehr dünne Fäden aus den Oeffnungen her—
aus, die sie geschickt mit den beiden Vorderfüßen zu verbinden
weiß. Zuerst spinnt sie nur ein unordentliches, unzusammen—
hängendes Gewebe. Den zweiten Tag zieht sie die Fäden um
sich herum und bildet einen eigentlichen Cocon, in dessen Mitte
sie sich befindet, und der ist es, welcher die feine Seide
Der ganze Cocon besteht aus einem einzigen, 300 — 400 Meter
langen Faden. Ungefähr nach drei Woͤchen, gewöhnlich des
Morgens zwischen 5. und 8 Uhr, kommt der Schmetterling aus
seiner nackten, dunkelbraunen Puppe hervor, nachdem er zuvor
den Cocon durch einen röthlichen Saft angefeuchtet und sich dann
erst durch die erweichte Stelle durchgebohrt hat.
Der Seidenbau breitet sig jetzt in Deutschland immer mehr
aus, wo er freilich große Mühe und Sorgfalt erfordert und
auch nur in Zimmern getrieben werden kann. Das erste Er—
forderniß ist, immer gutes Futter für die Raupen zu haben, und
da sie bei keinem Futter so gut gedeihen als hei den Maul—
beerblättern, so muß derjenige, welcher den Seidenbau in's große
treiben will, nothwendig Maulbeerbäume pflanzen.
A. B. Reichenbach.