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war. Schuhe bedeckten die Füße. Über dem Rock trug er einen meer¬
grünen wollenen Mantel von ziemlicher Länge und an der Seite stets ein
Schwert mit silbernem Griff und Gehenk.
Am liebsten trug Karl Kleider, die seine Töchter ihm verfertigt hatten;
nur bei feierlichen und außerordentlichen Gelegenheiten erschien der Herr¬
scher in einem prachtvolleren Anzuge, als sein gewöhnliches Hauskleid war.
Dann umgab ihn auch äußerlich der Glanz der Majestät: Krone, Kaiser-
mantel und Schwert starrten von Edelsteinen. Nur in solchen Fällen
wurde seine Tafel mit mehr als vier Gerichten besetzt; sonst bot das könig¬
liche Haus das Bild der größten Einfachheit dar. Während die Töchter
sich unter der Aufsicht der Mutter zu Hause mit der Spindel oder dem
Weben beschäftigten, mußten die Söhne mit dem Vater auf die Jagd oder
in den Krieg. Übrigens cmpfiengen nicht bloß diese, sondern auch die
Töchter Unterricht in allen Wissenschaften und zwar durch den berühmtesten
Gelehrten der damaligen Zeit, den angelsächsischen Diakonus Alkuin, wel¬
chen Karl zu diesem Zweck an seinen Hof berufen hatte. Fcrd, Schmidt.
101. Roland
Der König Karl saß einst zu Tisch
Zu Aachen mit den Fürsten,
Man stellte Wildpret auf und Fisch
Und ließ auch keinen dürsten.
Biel Goldgeschirr von klarem Schein,
Manch rothen, grünen Edelstein
Sah man im Saale leuchten.
Da sprach Herr Karl, der starke Held:
„Was soll der eitle Schimmer?
Das beste Kleinod dieser Welt,
Das fehlet uns noch immer.
Dies Kleinod, hell wie Sonnenschein,
Ein Riese trägt's im Schilde sein,
Tief im Ardenncnwalde."
Graf Richard, Erzbischof Turpin,
Herr Heimon, NaimS von Bayern,
Milon von Anglant, Graf Garin,
Die wollten da nicht feiern.
Sic haben Stahlgcwand begehrt
Und hießen satteln ihre Pferd',
Zu reiten nach dem Riesen.
Jung Roland, Sohn des Milon,
sprach:
„Lieb Vater! hört, ich bitte!
Vermeint ihr mich zu jung und schwach,
Daß ich mit Riesen stritte,
Doch bin ich nicht zu winzig mehr,
Euch nachzutragen euren Speer
Sammt eurem guten Schilde."
Schildträger.
Die sechs Genossen ritten bald
Vereint nach den Ardennen,
Doch als sie kamen in den Wald,
Da thäten sie sich trennen.
Roland ritt hinterm Vater her;
Wie wohl ihm war, des Helden Speer,
Des Helden Schild zu tragen!
Bei Sonnenschein und Mondenlicht
Streiften die kühnen Degen,
Doch fanden sie den Riesen nicht
In Felsen und Gehegen.
Zur Mittagsstund' am vierten Tag
Der Herzog Milon schlafen lag
In einer Eiche Schatten.
Roland sah in der Ferne bald
Ein Blitzen und ein Leuchten,
Davon die Strahlen in dem Wald
Die Hirsch' und Reh' aufscheuchten;
Er sah, cs kam von einem Schild,
Den trug ein Riese groß und wild,
Vom Berge nicdersteigend.
Roland gedacht im Herzen sein:
„Was ist das für ein Schrecken!
Soll ich den lieben Vater mein
Im besten Schlaf erwecken?
Es wachet ja sein gutes Pferd,
Es wacht sein Speer, sein Schild und
Schwert,
Es wacht Roland, der junge."