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Strcifzüge durchaus nicht, sondern sucht es sich so.bequem als möglich zu
machen.
Seine Lebensweise ist eine rein nächtliche; denn nur gezwungen verläßt
er am Tage sein Lager. Bei Tage begegnet man ihm äußerst selten; im
Walde kaum zufällig, sondern erst dann, wenn man ihn durch Hunde von
seinem Lager auftreiben läßt; dagegen sieht man ihn einzeln, obgleich selten,
von einem erhabenen Punkt Umschau über die Gegend halten, wahrscheinlich
um die Beute auszukundschaften. Erst mit der Nacht zeigt er sich allgemein
und kündet zunächst durch donnerartiges Brüllen sein Wachsein und den
Beginn seiner Streifzüge an.
Ich möchte wohl meine Leser bitten, sich mit mir im Geiste in eins
der Steppendörfcr Ostsudans oder in die Umzäunung eines Lagers der
Nomaden zu versetzen, um eine jener durch ihn gestörten Nächte kennen zu
lernen.
Mit Sonnenuntergang hat der Nomade seine Herde eingehürdet in
jenem acht bis zehn Fuß hohen und drei bis vier Fuß dicken, äußerst dichten,
aus den stachlichsten Ästen der Mimosen geflochtenen Zaune, dem sichersten
Schutzwalle, welchen er bilden kann. Dunkel senkt sich die Nacht auf das
geräuschvolle Lager herab. Die Schafe blöken nach ihren Jungen, die Rinder,
welche bereits gemolken wurden, haben sich nicdergethan. Eine Meute
wachsamer Hunde hält die Wacht. Mit einem Male bellt sie hell auf, im
Nu ist sie versammelt und stürmt nach einer Richtung in die Nacht hinaus.
Man hört den Lärm eines kurzen Kampfes, wüthend bellende Laute und
grimmig heiseres Gebrüll, sodann Siegesgcbell — eine Hyäne umschlich das
Lager, mußte aber vor den muthigen Wächtern der Herden nach kurzer
Gegenwehr die Flucht ergreifen. Einem Leoparden würde es kaum besser
ergangen sein. Es wird stiller und ruhiger, der Lärm verstummt, der Frieden
der Nacht senkt sich auf das Lager herab. Weib und Kind des Herdcn-
besitzers haben in dem einen Zelte die Ruhe gesucht und gefunden. Die
Männer haben ihre letzten Geschäfte abgethan und wenden sich ebenfalls
ihrem Lager zu. Bon den nächsten Bäumen herab spinnen die stufcnschwäu-
zigen Ziegenmelker ihren Nachtgesang, oder tragen fliegend ihre Federschlcppe
durch die Lüfte. Sonst ist alles still und ruhig. Selbst die kläffenden Hunde
sind verstummt, nicht aber lässig oder schlaff geworden in ihrem treuen
Dienste.
Urplötzlich scheint die Erde zu dröhnen; — in nächster Nähe brüllt
ein Löwe! Jetzt bewährt er seinen Namen „Essed", d. i. der Aufruhr¬
erregende; denn ein wirklicher Aufruhr und die größte Bestürzung zeigt sich
in dem Lager. Die Schafe rennen wie unsinnig gegen die Dornhecken an,
die Ziegen schreien laut, die Rinder rotten sich mit lautem Angstgestöhn zu
wirren Haufen zusammen, das Kameel sucht, weil es gern entfliehen möchte,
alle Fesseln zu zersprengen. Die muthigen Hunde, welche Leoparden und
Hyänen bekämpften, heulen laut und kläglich und flüchten sich jammernd in
den Schutz ihres Herrn, welcher selbst rath- und thatlos, au seiner eigenen
Stärke verzweifelnd, sich der ihm übermächtigen Gewalt unterordnend, in
seinem Zelte zittert. Er wagt cs nicht, nur mit seiner Lanze bewaffnet, einem
so furchtbaren Feinde gegenüberzutrcten, und muß cs geschehen lassen, daß
der Löwe näher und näher heran kommt, und daß die leuchtenden Augen zu dem