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Jugend sauer werden lassen. Der Berg ist hier mit vielen großen Granit¬
blöcken übersäet, und die meisten Bäume mußten mit ihren Wurzeln diese
Steine umranken oder sprengen und mühsam den Boden suchen, aus dem
sie Nahrung schöpfen können. Hier und da liegen die Steine, gleichsam ein
Thor bildend, über einander, und oben darauf stehen die Bäume, die nackten
Wurzeln über jene Steinpforte hinziehend und am Fuße derselben den
Boden erfassend, so daß sie in der freien Luft zu wachsen scheinen. Und
doch haben sie sich zu jener gewaltigen Höhe emporgeschwungen und, mit
den umklammerten Steinen wie zusammengewachsen, stehen sie fester als
ihre bequemen College» im zahmen Forstboden des flachen Landes. — Auf
den Zweigen der Tannen kletterten Eichhörnchen, und unter denselben spa¬
zierten die gelben Hirsche.
Allerliebst schossen die goldenen Sonnenlichter durch das dichte Tannen¬
grün. Eine natürliche Treppe bildeten die Baumwurzeln. Überall schwel¬
lende Moosbänke; denn die Steine sind fußhoch von den schönsten Moos¬
arten wie mit hellgrünen Sammetpolstern bewachsen. Liebliche Kühle und
träumerisches Quellengemurmel! Hier und da sieht man, wie das Wasser
unter den Steinen silberhell hinrieselt und die nackten Baumwurzeln und
Fasern bespült. Wenn man sich nach diesem Treiben hinabbeugt, so be¬
lauscht man gleichsam die geheime Bildungsgeschichte der Pflanzen und das
ruhige Herzklopfen des Berges. An manchen Orten sprudelt das Wasser
aus den Steinen und Wurzeln stärker hervor und bildet kleine Cascaden.
Da läßt sich gut sitzen. Es murmelt und rauscht so wunderbar, die Vögel
singen abgebrochene Sehnsuchtslaute, die Bäume flüstern wie mit tausend
Zungen, wie mit tausend Augen schauen uns die seltsamen Bergblumeu an;
sie strecken nach uns aus die wundersamen, breiten, niedlich gezackten Blätter,
spielend flimmern hin und her die lustigen Sonnenstrahlen, die sinnigen
Kräutlein erzählen sich grüne Märchen, — es ist alles wie verzaubert, es
wird immer heimlicher und heimlicher.
Je höher man den Berg hinaufsteigt, desto kürzer, zwerghafter werden
die Tannen; sie scheinen mehr und mehr zusammen zu schrumpfen, bis zu¬
letzt nur Blau- und Rothbeersträucher und Bergkräutcr übrig bleiben. Da
wird es auch schon fühlbar kälter. Die wunderlichen Gruppen der Granit¬
blöcke werden hier erst recht sichtbar. Diese sind oft von erstaunlicher Größe.
Das mögen wohl die Spielbälle sein, welche die bösen Geister einander zu¬
werfen in der Walpurgisnacht, wenn hier die Hexen auf Besenstielen ein¬
hergeritten Kommen. — In der That, wenn man die obere Hälfte des
Brockens besteigt, kann man sich nicht erwehren, an die ergötzlichen Blocks¬
bergsgeschichten zu denken. Es ist ein äußerst erschöpfender Weg, und ich
war froh, als ich endlich das langersehnte Brockenhaus zu Gesichte bekam.
Dieses Haus, das auf der Spitze des Berges liegt, wurde erst 1800
vom Grafen Stolberg-Wernigerode erbaut. Die Mauern sind erstaunlich
dick wegen des Windes und der Kälte im Winter. Das Dach ist niedrig;
in der Mitte desselben steht eine turmartige Warte, und bei dem Hause
liegen noch zwei kleine Nebengebäude, von denen das eine in früheren Zeiten
den Brockenbesuchern zum Obdach diente. H. Heine.