Full text: Deutsches Lesebuch für die Oberstufe mehrklassiger Schulen

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und Knoten darin gezeigt, seiner Maschine gleichsam zu fressen 
gibt. Sie zupft daran etwa wie eine Kuh, der man eine Hand voll 
Heu vorhält. Es ist verschwunden. Der Junge holt einen ganzen 
Arm voll baumwollenen Schnee unter der Maschine hervor und be¬ 
hauptet, dass dies die eben verzehrte Hand voll sei. Wir zweifeln, 
und er zeigt uns, wie es zugeht. Im Innern wird die Baumwolle 
mit rasender Kraft und Geschwindigkeit zerzaust und hin- und her¬ 
geworfen, so dass alle fremdartigen Bestandtheile zu Boden fallen. 
Nun ist sie rein und reif zum Spinnen, denken wir. Das ist 
ein starker Irrthum. Es war die erste von mehr als zwölf ähn¬ 
lichen Reinigungen. Die nächsten sehen wir unter den beiden Roh¬ 
bläsern, einer ganzen Reihe dampf - zischender und pfauchender 
Höhlen, in welche der baumwollene Schnee wie ein milchiger Regen 
herabströmt. Wir sehen in das Innere hinein und finden, dass die 
Baumwolle gleich am Eingänge von einer furchtbaren Windkraft 
in den dünnsten Nebel zerblasen wird. Stählerne Flügel bewegen 
sich in diesem Raume so rasch, dass sie zu einem kaum sicht¬ 
baren Nebelflecke verschwinden. Hier werden die Samenkörner 
und kleinen, fremdartigen Bestandtheile vollends abgesondert und 
durch Ritzen unten zu Boden geschleudert, während die leichten 
Baumwollenfasern von Wurfschaufeln im Fluge erhalten werden, 
bis sie am entgegengesetzten Ende wie ein immerwährender Schnee¬ 
sturm herausfliegen, so dass wir im Umsehen wie lebendige Schnee¬ 
männer neben einander stehen. Gegenüber wird der Baumwollen¬ 
schnee von Käfigen verschlungen, die ihn,, in wattenartige Bogen 
gepresst, auf der anderen Seite abliefern. Ein Blick in einen solchen 
Käfig zeigt uns einen Wirrwarr von Fress- und Verdauungswerk¬ 
zeugen, so schlingt und krümmt und windet es sich darinnen. 
So geht die Baumwolle durch 12 Reinigungs-, Wurf-, Hechel-, 
Dresch- und Sieb-Werkzeuge, bis sie zuletzt blendend weiss, wunder¬ 
schön als ein sich senkender Schnee hinsäuselt, aber ohne sichtbare 
Zwischenräume, nicht als Flocken. Nachdem die gleichsam flüssige 
Baumwolle zu grossen Rollen geformt ist, wandert sie zu den 
Krempel- und Kämm-Maschinen, von wo sie den Ziehmaschinen 
überliefert wird, die in wunderbar künstlicher Weise den luftigen 
Stoff zu Fäden verarbeiten. Wenn nun aber einmal unter den 
tausenden ein Faden reisst, was dann? So wie das geschieht, fällt 
eine Platte an der Stelle hörbar nieder, ein Zeichen für den Maschi¬ 
nisten, das ihn mahnt, die bestimmte Stelle sofort in Ruhe zu ver¬ 
setzen. Dies geschieht, und eins der beaufsichtigenden Mädchen 
holt das davon gelaufene Stück Faden zurück, legt es an das Ende 
des zurückgebliebenen, und der Schade ist schneller geheilt, ehe 
wir nur bemerken, dass die Maschine stille stand. Dieses Ankleben, 
scheinbar eine gedankenlose Verrichtung, ist eine Kunst, die grosse 
Übung verlangt. 
Wir steigen ein Stockwerk höher, noch eins und noch eine 
Treppe; überall Maschinen, die schnaubend und keuchend spinnen 
und weben. Zwischen ihnen nur einzelne verstreute, mechanische,
	        
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