Full text: Deutsches Lesebuch für die Oberstufe mehrklassiger Schulen

324 
Wenn er mit andern zu Fuße wanderte, war er immer sehr vergnügt, wenn 
es bergan ging, und sehr kleinmüthig, so oft sie bergunter gehen mußten. Als man 
ihn fragte/wie er doch so ein sonderbarer Geselle sei, gab er die Antwort: „Wenn 
wir bergan gehen, da freue ich mich schon, wie leicht wir's haben werden, den Berg 
hinunter zu gehen; aber wenn cs bergnnter geht, da weiß ich, daß bald wieder 
eine Anhöhe kommt, die wir mühsam ersteigen müssen. „Wir sollen", setzte er hinzu, 
„nicht bloß an die Gegenwart denken, sondern immer schon an die Zukunft." 
Eines Tages begegnete ihm ein Fuhrmann, der auf einer steinichten Straße 
seine Pferde über die Gebühr antrieb, so daß sie laufen mußten. „Kann ich", fragte 
er im Vorbeigehen, „noch wohl vor Abend zur Stadt kommen?" „Wenn ihr lang¬ 
sam fahret", antwortete Eulenspiegel. Der Kerl ist wohl nicht klug, dachte der 
Fuhrmann und trieb die Pferde nur noch mehr an. Gegen Abend kam Eulenspiegel 
auf demselben Wege zurück und traf den Fuhrmann wieder auf der Straße an und 
zwar in großer Verlegenheit. Durch das Jagen aus steinichtem Boden war ihm 
nämlich ein Rad gebrochen. Er konnte deshalb mit seinem Wagen nicht aus oer 
Stelle und mußte sich bequemen, die Nacht unter freiem Himmel zuzubringen. 
„Sagte ich's euch nicht", sprach Eulenspiegel, „daß ihr langsam fahren müßtet, wenn 
ihr noch zur Stadt wolltet?" 
Till Eulenspiegel war in einem Dorfe unweit Schöppenstedt im Herzogthum 
Braunschweig geboren; er starb 1350 in dem Städtchen Möllen, vier Meilen von 
Lübeck, wo man einen Grabstein mit seinem Wappen zeigt. So oft er nämlich an 
einem Orte einen Muthwillcu verübt hatte und, um den Folgen zu entgehen, sich 
aus dem Staube machte, zeichnete er mit Kreide an die Thür des Hauses einen 
Spiegel mit einer Eule und schrieb darunter: Der ist es gewesen. Noch jetzt nennt 
man muthwillige, verkehrte und närrische Handlungen Eulenspiegel st reiche. 
Volksbuch. 
241. Die Honigbiene. 
Wenn die ersten goldenen Strahlen der Frühlingssonne die reine 
Luft erwärmen, und diese den Bienenstock durchdringt, da regt 
sich’s dort drinnen in lautem Summen und Brummen. Bald lassen 
die ersten und ungeduldigsten der Bewohner an den Fluglöchern 
sich blicken und, scheint die Sonne noch ein wenig wärmer, zum 
ersten Ausfluge verleiten, den sie aber meistens mit dem Leben be¬ 
zahlen müssen. Wir finden sie dann wohl dutzendweise erstarrt 
über den Schnee zerstreut, und wer, milden Herzens, sich die 
Müsse nehmen will, der darf sie nur aufsammeln und in der hohlen 
Hand anhauchen, um sie nach einigen Minuten erwacht und ganz 
munter dem Stocke zurückgehen zu können. Wenn der „Bienen- 
vatef“ in diesen Tagen — meistens in der Mitte oder zu Ende des 
Februar — nicht sorgsam die Stöcke überwacht und die Fluglöcher 
während der Mittagsstunden schliesst, so gehen ihm eine Menge der 
kräftigsten und besten Bienen zu Grunde. 
Kurze Zeit nachher, sobald die Sonne die weisse Decke von 
der Erde völlig abgeräumt hat, halten die Bienen ihre ersten ordent¬ 
lichen Ausflüge, und bald beginnt die zu ihrer ganzen Regsamkeit 
erwachte Bewohnerschaft des Bienenhauses mit der wichtigen und 
sehr nothwendigen Säuberung ihrer Wohnung. Die Zellen werden 
ausgebessert und besonders die für die Brut bestimmten in Stand 
gesetzt. Ferner wird Harz von Fichten-, Balsampappel- und Ka- 
stanien-Knospen eingesammelt, um mit demselben alle Ritzen, Fugen 
und Löcher zu verkleben, die durch den Frost, durch Mäuse, Käfer 
und andere böse Gäste hervorgebracht sind.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.