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162. Der Choral von Leuthen.
(5. Dezember 1757.)
1. Gesiegt hat Friedrichs kleine Schar. Rasch über Berg und Tal
von dannen zog das Kaiserheer im Abendsonnenstrahl;
die Preußen stehn auf Leuthens Feld, das heiß noch von der Schlacht;
des Tages Schreckenswerke rings umschleiert mild die Nacht.
2. Doch dunkel ist's hier unten nur, am Himmel Licht an Licht;
die goldnen Sterne ziehn herauf, wie Sand am Meer so dicht;
sie strahlen so besonders heut', so festlich hehr ihr Lauf;
es ist, als wollten sagen sie: „Ihr Sieger, blicket auf!“
3. Und nicht umsonst. Der Preuße fühlt's: Es war ein großer Tag.
Drum still im ganzen Lager ist's, nicht Jubel noch Gelag;
so still, so ernst die Krieger all, kein Lachen und kein Spott —
auf einmal tönt es durch die Nacht: Nun danket alle Gott!“
4. Der Alte, dem's mit Macht entquoll, singts fort, doch nicht allein,
Kam'raden um ihn her im Kreis, gleich stimmen sie mit ein;
die Nachbarn treten zu, es wächst lawinengleich der Chor,
und voller, immer voller steigt der Lobgesang empor.
5. Aus allen Zelten strömt's, es reiht sich singend Schar an Schar,
einfallen jetzt die Jäger, jetzt fällt ein auch der Husar.
Auch Musika will feiern nicht, zu reiner Harmonie
lenkt Horn, Hobo' und Klarinett' die heil'ge Melodie.
6. Und stärker noch und lauter noch, es schwillt der Strom zum Meer;
am Ende, wie aus einem Mund, singt rings das ganze Heer.
Im Echo donnernd widerhallt's das aufgeweckte Tal,
wie hundert Orgeln braust hinan zum Himmel der Choral.
Hermann Besser.
163. Mie schön leuchtet der Morgenstern.
s war im Siebenjührigen Kriege. Da reitet beim frühsten Morgen-
grauen, als eben die Sonne herausgeschlichen war aus ihrer Kammer,
ein alter bürtiger Husarenwachtmeister in Windeseile in ein schlesisches
Dorf gerade auf die Kirche los. Er bindet seinen Gaul an einen Grab-
stein und sucht sich den Schulmeister auf, der nahe bei der RKirche
wohnt. Den jagt er aus den Federn und seine Frau auch und befehlt
ihin, die Kirche aufgumachen. Der Sehulmeister erschrickt in den Tod
hinein und denkt: „Ach, der plündert uns noch vollends das letzte Stück-
lein aus, was wir haben, die silbernen Leuchter und den Nachtmabls-
keleh.“ Er äKommt bebend mit seiner Frau hinter dem Wachtmeister
drein, der grosse Eile hat und vorwürts treibt. Nit seinen zitternden
Haänden kann er kaum aufschliesssen; dazu ist noch der Norgen recht
herbstueh kübl. Als sie in die Rirche eintreten. nimmt der Husar seine