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einen Fuchs aufnahm und in
bedeutende Höhe erhob, plöotz⸗
lich aber in der Luft zu taumeln
begann und schwankend herab—
stürzte. Reineke hatte ihm die
Brust zerrissen und ihn getödtet
und hinkte, nachdem er die sau—
sende Niederfahrt mit dem todten
Adler überstanden, so eilig als
möglich davon. Nicht selten sind
auch Kinder von Adlern geraubt
worden.
Die Jagd auf dies könig⸗
liche Thier ist natürlich sehr ge—
fährlich; aber gerade die Gefahr
lockt den kühnen Weidmann.
Der Mensch begehrt ja gewöhn⸗
lich am heftigsten, was ihm am
meisten versagt ist.
171.
Mit dem Pfeil, dem Bogen
durch Gebirg und Thal
kommt der Schütz gezogen
früh am Morgenstrahl.
Der Schütz.
—S
Wie im Reich der Lüfte
König ist der Weih,
durch Gebirg und Klüfte
herrscht der Schütze frei.
Ihm gehört das Weite;
was sein Pfeil erreicht,
das ist seine Beute,
was da kreucht und fleugt.
172. Das Alpenhorn.
Auf dem Alpenhorn blasen die Hirten oder Sennen in manchen hohen
Gebirgen des Schweizerlandes nicht nur den Kuhreigen, sondern es dient auch
noch zu einem andern, feierlichen, religiösen Gebrauch. Wenn nämlich die
Sonne im Thal untergegangen ist und das Licht des Himmels nur noch am
Gipfel der schneebedeckten Berge glimmt, dann nimmt der Senne, der auf
den höchsten Alpen lebt, sein Horn und ruft durch sein Sprachrohr: „Lobet
Gott, den Herrn!“ Alle benachbarten Hirten treten, so wie sie diesen Laut
hören, aus ihren Hütten, nehmen ihre Alpenhörner und wiederholen dieselben
Worte. Dies dauert oft eine Viertelstunde lang fort, und von den Bergen
und längs der Felsschluchten widerhallt der Name Gottes. Endlich erfolgt
eine feierliche Stille. Alle beten knieend und mit entblößten Häuptern. Mitt—