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252. Der Tannenbaum.
252. Der Tannenbaum.
„Schlanke Tanne, trägst den Gipfel
zu den Wolken hoch und hehr
und bewegest deine Wipfel
stolz im Winde hin und her.“ —
„Wohl darf ich das Haupt erheben
über andre Bäume stolz;
denn ich bin fürs Menschenleben
ein gar viel bedeutend Holz.
Denn mein Gipfel giebt die Wiege
für ein neues Menschenkind;
darum schaukle, darum biege
ich so lustig ihn im Wind.
4.
So ein Holz, das Stürme schaukeln,
taugt vor allem gut dazu;
Träume werden es umgaukeln,
wiegen ein in süße Ruh'.
Und mein Stamm, der fest und stille
in die Erde bohret sich,
giebt die Bretter zu der Hülle
in dem kühlen Grab für dich.
5.
6
Drum im Herzen still bewahre,
was du hast an mir gesehn;
denke, daß oft Wieg' und Bahre
nahe bei einander stehn.“
(Müller.)
253. Die Kapelle.
Droben stehet die Kapelle,
schauet still ins Thal hinab.
drunten singt bei Wies' und Quelle
froh und hell der Hirtenknab'!.
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2. Traurig tönt das Glöcklein nieder,
schauerlich der Leichenchor.
Stille sind die frohen Lieder,
und der Knabe lauscht empor.
Droben bringt man sie zu Grabe,
die sich freuten in dem Thal.
Hirtenknabe, Hirtenknabe,
dir auch singt man dort einmal.
(Uhland.)
254. Die Lappländer.
Hoch oben im Norden von Schweden und Norwegen wohnen die Lappländer,
Menschen von kleiner Gestalt, durchweg noch wie Wilde lebend und vom
Christentum wenig berührt. Ihr einziger Reichtum ist das Renntier, ja, ohne
dies wunderbare Geschöpf könnten sie in jenen unwirtlichen Gegenden gar nicht
leben. Aber mit Eintritt des kurzen, jedoch warmen Sommers stellen sich zahl—
lose Schwärme von Stechmücken und Bremsen ein, die das Renntier bei Tag
und Nacht peinigen. Um dieser Plage zu entgehen, ziehen die Lappen mit
ihren Herden in die Gebirge oder an die Meeresküste. Sie haben also keine
festen Wohnungen, sondern sind sogenannte Nomaden, d. h. Menschen, die mit
ihren Herden umherwandern. Bäume giebt es in jenen Gegenden wenig; der
langdauernde, eisige Winter läßt überhaupt nicht viele Pflanzen gedeihen, nur
Moose und Flechten überziehen den Boden und bieten dem Renntier die not—
wendige Nahrung dar. Denn allerdings geht im hohen Sommer für die dor—
tigen Menschen die Sonne gar nicht unter: um Mitternacht senkt sie sich wohl
ein wenig, aber es bleibt immer hell, und die Wärme nimmt mit jeder Stunde
zu. Doch das wird bald anders, und während sieben Wochen, wo die Tage
bei uns am kürzesten sind, kommt die Sonne für die armen Lappländer gar
nicht zum Vorschein, ganze Monate hindurch müssen sie im Dunkeln sitzen, und
nur die düster qualmende Thranlampe ersetzt ihnen das liebe Sonnenlicht. Da
läßt es sich denken, mit welcher Sehnsucht sie nach der Himmelsgegend schauen,