Full text: [Teil 2 = Mittelstufe, [Schülerband]] (Teil 2 = Mittelstufe, [Schülerband])

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mich doch nur ausreden, die Hauptsache kommt erst noch. Was 
ich dir erzählte, sah ich freilich nur im Traum; aber plõtzlich war 
es mir, als zupfe mich etwas am Ohre. lch wachite auf, der Mond 
schien hell in die Kammer, und vor meinem Bette stand ein kleiner 
Mann, der hatte einen langen, grauen Bart und das Gesicht voller 
Runzeln. Der kleine Mann blin-elte mich mit hellen, klugen Augen 
an und legte den Finger auf den Mund, als wollt' er sagen: Nur 
stillel ganz stilll Dann fragte er mich flüsternd, ob mir der Traum 
gefallen habe, und ob ich Lust hãätte, ein König zu werden und mit 
dir in einem goldenen Schlosse zu vohnen. Als ich ihm zunickte, 10 
fuhr er fort: Wenn alles geschehen soll, wie du es getrãumt hast, 
so komme heut abend, wenn der Mond aufgeht, mit deiner 
Schwester in den Vald und warte auf mich unter äe groben Tanne, 
die du kennst. Aber merke dir wohl, es ist eine Bedingung dabei 
ihr dürft in dem goldenen Schlosse keine Täne auf den Boden 15 
fallen lassen, sonst ist es mit aller Herrlichkeit vorbei, und wir 
Wichtlein sind wieder ohne König. — Nicht wahr, Schwester, du 
versprichst mir, daß du in dem goldenen Schlosse nicht weinen 
willst? Du weinst immer gleich.“ Da gab ihm die Schwester die 
Hand darauf, dab sie nicht weinen wolle; denn sie wäre doch gar 20 
zu gern eine Prinzessin geworden. 
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2. Wie dor Bruder ein König und die Schwester eine 
Prinzessin wurde. 
Nun wurden die Kinder darüber einig, dab sie gegen Abend 
miteinander in den VWald gehen und warten wollten, bis der Mond 25 
aufginge. Bevor aber noch die Dãmmerung anbrach, schlichen sie 
sich unbemerkt in den Wald; denn sie befürchteten; ihre Eltern 
mõchten sie zu Hause zurũckhalten, venn sSie von der Arbeit heim- 
kehrten. Es war nämlich an einem Sonnabend, und da gab es 
im Hause allerlei zu tun. Sie gingen miteinander Hand in Hand 
bis zu der groben Tanne, setzten sich auf da weiche Moos und 
wollten warten, bis der Mond aufginge. Nach einer Weile sagte 
die Schwester: Ich mub immer an unsere Eltern denken; ach, mir 
ist s0 traurig zumute, dab ich weinen mõchte! Darf ich jetzt noch 
weinen?“ — „ki gewib,“ sagte der Bruder, „wir sind ja noch z5 
nicht im goldenen Schlosse. Weine dich nur recht aus, solange 
wir noch im VWalde sind.“ Da weinte die Schwester so lange, bis 
sie mit feuchten Augen einschlief. Der Bruder sab daneben und 
hatte nur den einen Gedanken, wie schöõn es sein würde, wenn er 
erst König wäre. Endlich wurde er auch müde und schläfrig und 
nickte ein.
	        
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