Full text: Lesebuch für die Unterklassen der Volksschulen des Regierungsbezirkes Oberfranken

18. Die Geschwister. 15 
Anna sprach: „Wenn du mich an einen Ort hinführen 
kannst, wo uns niemand sieht, so geh' ich mit dir.“ 
„Nun,“ sagte Jakob, „so komm mit in das Milchkämmer— 
lein; dort wollen wir eine Schüssel voll süßen Rahmes ver— 
zehren.“ 
Anna sprach: „Dort sieht es der Nachbar, der auf der 
Gasse Holz spaltet.“ 
„So komm mit mir in die Küche,“ sagte Jakob; „in dem 
Küchenschranke steht ein Topf voll Honig. In diesen wollen 
wir unser Brot eintunken.“ 
Anna antwortete: „Dort kann die Nachbarin hereinsehen, 
die an ihrem Fenster sitzt und spinnt.“ 
„So wollen wir drunten im Keller Äpfel essen,“ sagte 
Jakob. „Dort ist es so stockfinster, daß uns gewiß niemand sieht.“ 
Anna sprach: „O mein lieber Jakob! Meinst du denn 
wirklich, daß uns dort niemand sehe? Weißt du nichts von 
jenem Auge dort oben, das die Mauern durchdringt und ins 
Dunkle sieht?“ 
Jakob erschrak und sagte: „Du hast recht, liebe Schwester! 
Gott sieht uns auch da, wo uns kein Menschenauge sehen kann. 
Wir wollen daher nirgends Böses tun.“ 
Bedenke, Kind, daß, wo du bist, 
Gott überall zugegen ist. Ch. v. Schmid. 
18. Die Geschwisler. 
Ein Vater wollte seinen zwei Kindern, welche ihm durch 
Fleiß und Gehorsam viele Freude machten, einmal auch ein 
Vergnügen bereiten. „Kinder,“ sagte er an einem schönen 
Morgen, „heute will ich mit euch zu unserm Vetter gehen; 
da könnt ihr euch im Garten bei seinen braven Kindern 
nach Herzenslust ergötzen. Ich will nur einen anderen Rock 
anziehen; ich komme gleich wieder.“ 
Sein kleiner Sohn war darüber voll Freude, hüpfte 
lustig in der Stube herum und stieß aus Versehen einen 
Krug vom Tische herab. Elisabeth, seine Schwester, eilte
	        
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