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Der Kaiser bemerkle den Verlust und rief laut, daß ihm die
Uhr gestohlen sei. Da wäre der Dieb gern heimlich davon—
gelaufen; aber er konnte nicht fortkommen wegen der vielen
Räthe und Diener, die den Kaiser umgaben, und mußte in
dem Gedränge bleiben. Damit nun niemand ihn in Verdacht
haben möchte, so that er sehr zornig und schalt sehr über
den schlechten Menschen, der die Uhr gestohlen habe. Und
siehe, da fängt die Uhr in seiner Westentasche mit einem
Male hell und lustig zu schlagen an und verräth damit den
Dieb vor dem Kaiser und allem Volk. Mit Furcht und
Schrecken fällt er alsbald dem Kaiser zu Füßen, gibt die Uhr
zurück und bittet unter Thränen um Gnade. Der Kaiser
war so gütig, es ihm zu verzeihen, und sagte zu ihm: „Es
soll dir vergeben sein; allein du hast große Schande auf
dich geladen. Laß dirs zur Warnung dienen, und stiehl
hinfort nicht mehr, sondern arbeite, davon wirst du Ehre
haben und einen gnädigen Gott und ein gutes Gewissen.“
162. Vom Rathgeben.
Gib Acht, daß es dir nicht gehe wie dem Spatzen,
der andern Vögeln Rath gab, aber sich selber nicht zu
rathen wußte, noch vor Gefahr sich zu hüten.
Es hat sich nemlich begeben, daß die Holztauben ein
Nest mit Jungen auf einem hohen Baume gehabt haben.
Da ist der Fuchs gekommen und hat gedrohet, er wolle
hinaufsteigen und die Jungen mit dem Neste nehmen, wenn
sie ihm nicht ein Junges herabwürfen. Da sind die Tau—
ben erschrocken und haben sich heftig gefürchtet. Zuletzt
haben sie ihm ein Junges herabgeworfen; das hat der
Fuchs genommen und ist damit seines Weges gegangen.
Als er aber hinweggewesen, hat der Spatz die Holztauben
unterwiesen und gelehret: wenn der Fuchs wiederkäme, sollten
sie ihm nichts geben, sondern sprechen, sie wären in ihrem
Neste; wenn er kühn wäre, sollte er hinaufsteigen.
Da nun der Fuchs wiedergekommen ist, haben sie ihm
nichts mehr geben wollen. Alsbald hat er gemerkt, daß
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