Spahn: Deutsches Wirtschaftsleben nach dem Dreißigjährigen Kriege.
27. Deutsches Wirtschaftsleben nach dem Dreißigjährigen Kriege.
Von Martin Spahns
Der Große Kurfürst. Weltgeschichte in Charakterbildern. Mainz, Kirchheim. 1902. S. 71.
Eine der schwersten wirtschaftlichen und kulturellen Verwüstungen, die
die Geschichte kennt, ist 1636—1648 über Deutschland hinweggegangen. Für
die Bevölkerung waren es Jahre schrecklicher Leiden, die sich in die Er-
innerung so düster und endlos einprägten, als hätte der Krieg durch alle
die dreißig Jahre so gewütet Der schließliche Zusammenbruch war furchtbar,
so furchtbar, daß er doch nicht aus der argen Art der Kriegführung allein,
sondern zugleich aus der Unzulänglichkeit der deutschen Volkswirtschaft damals
und der persönlichen Unfähigkeit der deutschen Erwerbsstände, Krisen zu über-
winden, erklärt werden muß.
Die Betriebsformen des deutschen Wirtschaftslebens waren im 16. Jahr¬
hundert allenthalben kapitalistisch geworden; es war jedoch nicht gelungen, die
für diesen Umschwung notwendige Grundlage durch Entwicklung und Ordnung
des Kreditwesens herzustellen. Das hatte in Süddeutschland die Verschuldung,
insbesondere des Grund und Bodens, bedenklich beschleunigt und überall den
gewerblichen Fortschritt untergraben. In Norddeutschland hatte sich wenigstens
die Landwirtschaft einigermaßen zu helfen gewußt, hatte aber dafür wegen
Mangels größerer Städte mit der Geringfügigkeit des Bargeldbestandes zu
kämpfen. Ein langer und schwerer Krieg mußte diesen Verhältnissen gegen-
über auch ohne sonderliche Entartungserscheinungen zerstörend wirken, indem
er dem platten Lande seine Lasten auflegte und in Handel und Gewerbe
eine verderbliche allgemeine Unsicherheit über seine Dauer und Ausdehnung
hineintrug. Er mußte es um so mehr, als gleich seine ersten Jahre infolge
gewisser weltwirtschaftlicher Vorgänge und der staatlichen Ohnmacht im
Inneren des Reichs eine unerhörte Münzentwertung bis auf ein Drittel
und ein Viertel mit sich führten. Das entsetzliche letzte Kriegsjahrzehnt
hat dann das Unheil fast unheilbar gemacht. Die Verschuldung sowohl der
Korporationen wie der einzelnen wurde so allgemein, daß in der Lage des
wirklich vermögenden Gläubigers fast nur noch das reiche Patriziertum und
die reich gewordenen Offiziere blieben. Das Vermögen der Nation war
unwiederbringlich verloren, und die Anstrengungen mußten sich schon bald
daraus beschränken, der Bevölkerung die bloßen Erwerbsmittel zu wahren:
benn, so sagten die Städte einmal, wenn man es überall zur Zwangs-
Vollstreckung kommen ließe oder anderseits für die bedürftigen Gläubiger
1 Martin Spahn, geboren 1375 zu Marienburg, ist Professor in Straßburg
und gibt mit Kampers, Merkle u. a. die „Weltgeschichte in Charakterbildern" heraus. Er
schrieb: Wirtschaftsgeschichte des Herzogtums Pommern. 1896. Johann Cochläus. 1898.
Philipp Veit. 1900 und gab 1899 die 2. Hälfte von Bd. 16 der „Urkunden und Akten-
stücke zur Geschichte des Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg" heraus.