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langen Laufe manche Eigentümlichkeit: er ist ein wahrer Meridianfluß, in-
dem er vou seinen allerdings noch immer unbekannten Quellen bis zu seiner
Mündung mit Abweichungen nach rechts und links dem 50° OL. folgt; auf
seinem ganzen 300 Ml. langen Unterlaufe empfängt er nicht einen einzigen
Nebenfluß; ein Binnenmeer nimmt ihn auf; alles Leben im nordöstlichen Afrika
hängt einzig und allein von ihm ab; mit ihm würde es verschwinden; die
ältesten Staaten der Erde erstanden an seinen Ufern; er war von Alters
her der Bewohner heiliger Fluß (wie der Jordan und Ganges), uud Denk-
mäler, „von denen vierzig Jahrhunderte auf die Gegenwart herabschauen,
spiegeln sich in seinen Fluten". Die Quellen des Nils zu entdecken, ver-
suchten schon die Alten. Bei Khartum (Chartum), an der Grenze der tro-
pischen Regen, strömen seine beiden Quellflüsse zusammen, rechts der Blaue
Fluß, Bahr el Azrek, links der Weiße Fluß, Bahr el Abiad, der
eigentliche Quellfluß.
Der Blaue Fluß entströmt mit seinen Nebenflüssen dem mächtigen
Plateau Abessiniens und den ihm aufgesetzten Gebirgsländern. In den süd-
lich von Gondar 1862 m. 5732 hoch in weiter herrlicher Frnchtstbene lie-
genden, 70 QM. großen Tana (Tzana) oder Dembea See, der wahr-
scheinlich ein ungeheurer erloschener Krater ist, ergießen sich mehr als
30 Flüsse, deren beträchtlichster, der Abai, 27 62 m. 8500' hoch auf dem
Centralplateau Abessiniens entspringt. Sein südöstlicher Abfluß, anfänglich
auch noch Abai genannt, ist der bläuliche Bahr el Azrek, an dessen Ufern
sich der üppigste Urwald mit kolossalen 'Boababs und Tamarinden ausbreitet.
Der blaue Nil hat, wie die meisten abessinischen Flüsse, höchst veränder-
lichen Wasserstand, und kann aus diesem Grunde nicht als der Hauptstrom
betrachtet werden. Dieser ist vielmehr
der Weiße Fluß, der, dreifach wasserreicher und stets gleich mächtig,
seine Quellen, wie schon Speke's und Grant's Forschungen vermnthen ließen,
in den Hochebenen südlich des Aequators hat, denen der Ostpassat zehn Mo-
nate des Jahres reichlichen Regen bringt.
Die Wasserscheide des südlichen Central-Afrikas giebt Livingstone auf
700 englische Meilen an. Zahllose Quellen nehmen dort nach seinen aller-
dings unklaren Mittheilungen ihren Ursprung. Dort, und zwar zwischen
dem 10 nn5 12° SBr. sollten nach seiner Behauptung auch die Quellen des
Nils liegen und sich zunächst zu zwei mächtigen Strömen vereinigen. Nach
dem Zusammenfluß dieser — so berichtete Livingstone — ist der Nil that-
sächlich ein Seenstrom, dem in verschiedenen Gegenden zwischen verschiedenen
Seen verschiedene Namen beigelegt werden. So liegt zwischen dem 11 und
12" SBr. nnd etwa zwischen 45 und 48° OL. der Bangweolo See,
dessen größter Zufluß der Chambesi (Tschambesi) ist (nicht zu verwechseln
mit dem Zambesi).
Diesen Flnß, dessen Hauptquelle nordöstlich jenes Sees liegt, hielt L.
für den eigentlichen Quellfluß des Weißen Nils. Aus seinem nordwestlichen
Ende tritt der Lnapula, der im Allg. in nördlicher Richtung zum Moero
See geht, welcher vom 9° SBr. geschnitten wird und zwischen dem 45 und