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Alexander von Humboldt. 
269. Der südliche Sternenhimmel. 
Seit wir in die heiße Zone eingetreten waren, konnten wir jede 
Nacht die Schönheit des südlichen Himmels nicht genugsam bewun— 
dern, welcher in dem Maße, als wir nach Süden vorrückten, neue 
Sternbilder unseren Augen entfaltete. Man hat ein wunderbax unbe— 
kanntes Gefühl, wenn man bei der Annäherung gegen den Aquator 
und besonders, wenn man von der einen Hemisphaͤre in die andere 
äbergeht, allmählich die Sterne niederer werden und zuletzt ver— 
schwunden sieht, welche man von seiner ersten Kindheit an kennt. 
Nichts erinnert einen Reisenden lebhafter an die unermessliche Ent— 
fernung seines Vaterlandes, als der Anblick eines neuen Himmels. 
Die Gruppierung der großen Sterne, einige zerstreute Nebelsterne, 
welche an Glanz mit der Milchstraße wetteifern, und Räume, welche 
durch eine außerordentliche Schwärze ausgezeichnet sind, geben dem 
füdlichen Himmel eine eigenthümliche Physiognomie. Dieses Schau— 
spiel setzt selbst die Einbildungskraft derjenigen in Bewegung, welche, 
ohne Unterricht in den höheren Wissenschaften, das Himmelsgewölbe 
gern betrachten, wie man eine schöne Landschaft oder eine majestä— 
lische Aussicht bewundert. Man hat nicht nöthig, Botaniker zu sein, 
um die heiße Zone bei dem bloßen Anblick der Vegetation zu er— 
kennen; ohne Kenntnisse in der Astronomie erlangt zu haben, ohne 
mit Himmelskarten vertraut zu sein, fühlt man, dass man nicht, in 
Europa ist, wenn man das ungeheure Sternbild des Schiffs oder 
die phosphorescierenden Wolken Magellans am Horizonte auffsteigen 
fieht. Die Erde und der Himmel, alles nimmt in der Aauinoctial— 
zegend einen fremden Charakter an. 
Die niederen Gegenden der Luft waren seit einigen Tagen mit 
Dämpfen angefüllt. Wir sahen erst in der Nacht vom 4. zum 5. 
Juli (1799) im sechzehnten Grade der Breite das Kreuz des Südens 
zum erstenmale deutlich; es war stark geneigt und erschien von Zeit 
zu Zeit zwischen Wolken, deren Mittelpunkt, von dem Wetterleuchten 
gefurcht, ein silberfarbenes Licht zurückwarf. Wenn es einem Reisenden 
erlaubt ist, von seinen persönlichen Rührungen zu reden, so setze ich 
hinzu, dafs ich in dieser Nacht einen der Träume meiner ersten 
Zugend in Erfüllung gehen sah. 
Wenn man anfängt, den Blick auf geographische Karten zu 
heften und die Beschreibungen der Reisenden zu lesen, so fühlt man 
cine Art von Vorliebe für gewisse Länder und Klimate, von welcher 
man sich in einem höheren Alter nicht wohl Rechenschaft geben kann. 
Diese Eindrücke haben einen merkbaren Einfluss auf unsere Ent— 
schlusse, und wir suchen uns wie instinctmäßig mit den Gegenständen 
in Beziehung zu setzen, welche seit langer Zeit einen geheimen Reiz für 
uns hatten. In einer Epoche, wo ich den Himmel studierte, nicht
	        
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