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einmal einem zu einem ganzen Menschenleben helfen mag. Daruin habe
ich m meinem Testament meine verlobte Braut, die Jungfrau Hansen, zu
meiner Universalerbin eingesetzt. Du wirst mir das nicht übelnehmen,
Meta, wir haben es doch 'mal so im Sinne gehabt." Und als meine
Tränen auf seine Hand fielen, nahm er einen goldnen Ring aus einem
Kästchen und steckte mir ihn an. „Der ist für dich allein," sagte er, „es
schickt sich besser vor den Leuten, und," setzte er leise hinzu, „trag ihn
auch zu meinem Gedächtnis."
Die alte Jungfrau schwieg und faßte wie liebkosend den schmalen
Reif, den sie am Goldfinger trug. — — Es war jetzt fast dunkel in
dem kleinen Zimmer, nur ein schwacher Abendschein drang durch die be¬
schlagnen Fensterscheiben.
Der alte Lehrer war aufgestanden. „Wenn ich den Spruch auf meines
armen Knaben Stein gelesen," sagte er, „so hab' ich bisher nur seiner dabei
gedacht; aber," setzte er hinzu, und seine Stimme zitterte, „Gottes Wort
ist überall lebendig." Theodor Storm.
9. Oer Tod Lucias, der Gattin des Jürg Jenatsch.
Aus „Jürg Jenatsch.“
Zur Einführung. In dem Yeltlindorfe Berbenn ist Jürg Jenatsch reformierter
Pfarrer geworden; die Bevölkerung der Landschaft ist in zwei religiöse Parteien, Katho¬
liken und Protestanten, gespalten, die sich gegenseitig hassen und verfolgen. Die bes¬
seren und einsichtigeren unter ihnen halten allerdings Frieden und verkehren freund¬
schaftlich miteinander. Seine jugendliche G-attin, die wunderschöne Lucia, hat um ihrer
Ehe willen von ihren katholischen Anverwandten viel zu leiden.
Jenatsch wird von seinem Jugend- und Studienfreund Waser, Beamter des Züricher
Magistrats, besucht; bei dem Freunde lernt Waser die beiden protestantischen Geist¬
lichen Blasius Alexander und Fausch, sowie den Kapuzinerpater Pankratius kennen.
Die vier Männer sind durch treue Freundschaft verbunden, unbekümmert um den Haß
und das Gezänk der Menge. Pankratius ist gekommen, um die Freunde vor einem ge¬
planten Überfall der erregten katholischen Menge zu warnen.
Jürg Jenatsch umschlang die eben eintretende Lucia und küßte sie
mit überströmender Zärtlichkeit: „Sei getrost, mein Herz, und freue
dich! Eben hat dein Georg den schwarzen geistlichen Rock abgeworfen,
der dich mit den Deinen verfeindet hat. Wir ziehn hier weg, es wird
dir wohlergehn, und du erlebst an deinem Manne Ehre die Fülle."
Lucia errötete von Freude und blickte mit seliger Bewunderung
in Jürgs übermütiges Angesicht, aus dem eine wilde Freude sprühte.
Noch nie hatte sie ihn so glücklich gesehn. Offenbar wich eine dunkle
Furcht von ihrem Herzen, an der sie von Tage zu Tage schwerer ge¬
tragen, und die ihr das Leben in der Heimat verleidet hatte.
„Hier, Jürg, mein Bruder," sagte jetzt Fausch, der mit seiner
Rechnung fertig war, „hier mein Eingebinde zu deinem Tauftage als
Ritter Georg! Für Gaul und Harnisch. Das Kapital ist gut angelegt.