Entstehung der Welt.
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warfen sie in die Luft, und daraus machten sie die Wolken. Dann
fingen sie die Feuerfunken auf, die von Muspellsheim, der Flammen¬
welt, ausgeworfen waren und in der Luft umherflogen, und setzten sie
als Gestirne an das Himmelsgewölbe, um Äimmel und Erde zu er¬
hellen; jedem Äimmelslichte schrieben sie seinen bestimmten Gang vor,
wonach Tage und Jahre berechnet werden. Nun ließ auch die Erde
Pflanzen hervorsprossen:
„Von Süden beschien die Sonne den Boden,
da wuchs auf dem Grunde grünendes Kraut."
Am Meeresstrande wandelnd fanden darauf Odin und seine
Brüder Äönir und Lodur zwei Bäume, Esche (Ask) und Lllme
(Emela); diese nahmen sie und schufen sie zu Menschen, zu Mann und
Weib, um, indem jeder der drei Götter ihnen besondere Gaben spendete,
wie es in der Edda heißt:
„Da kamen zum Meerstrand mächtig und hold
aus diesem Geschlecht drei der Äsen;
auf freiem Felde fanden sie kraftlos
Ask und Embla, unsichern Loses.
Lauch und Seele halten sie nicht,
Gebärde noch Wärme noch blühende Farben;
den Lauch gab Odin, Lönir die Seele,
Lodur die Wärme und leuchtende Farben."
Dem neugeschaffenen Menschenpaare, den Stammeltern des Menschen¬
geschlechtes, wiesen die Äsen Midgard, die Menschenerde, zur Wohn¬
stätte an.
Aus die Erschaffung der Menschen folgte dann noch die der Zwerge
und der übrigen Wesen durch die Götter.
o) Die Weltregierung.
Die germanischen Riesen und Götter stehen zueinander in dem¬
selben Gegensatze wie auf dem Boden Griechenlands die Titanen und
die olympischen Götter. Die Riesen, älter als die Götter (Äsen), sind
selbst wohl die Götter der ältesten, rohesten Zeit, die in ihnen die blind
wirkenden Mächte der ungebändigten Naturkraft verehrte. Daß Bos¬
heit nicht der ursprüngliche Grundzug ihres Wesens ist, beweist noch
eine ganze Reihe von Sagen, in denen sie zwar als ungeschlacht und
plump, aber zugleich als treuherzig und gutmütig geschildert werden. Nur
wenn sie zum Zorne gereizt werden, sind sie heftig und tückisch; in
blinder Wut schleudern sie Felsen, reißen starke Bäume samt der