326
3
5. Das Nibelungenlied.
es sind hochgemute Helden.“ Bald aber fügt er hinzu „Ich habe zwar
noch niemals Siegfrieden gesehen, aber ich muß glauben, daß nur er
es sein könne, der dort so herrlich einhergeht; es ift Siegfried, der das
Geschlecht der Nibelungen besiegte, der den unermeßlichen Schatz an
edlem Gestein und rotem Gold dem finstern Geschlechte Schilbungs ab—
gewann und Land und Leute der Besiegten in Besitz nahm, der dem
Zwerg Alberich dle unsichtbar machende Tarnkappe im heißen Kampfe
entriß, — derselbe Siegfried, der auch einen Linddrachen schlug und in
dem Blute sich badete, daß seine Haut wie Horn unverwundbar wurde.
Solchen Helden sollen wir freudig empfahen, daß wir nicht des schnellen
Recken Haß auf uns laden mögen.“ — Siegfried wird herrlich empfangen,
köstlich bewirtet. Fröhliche Kampfspiele werden auf dem Hofe des Königs⸗
palastes gehalten; Kriemhild schaut verstohlen durch das Fenster, und
im Anschauen des starken Heldenjünglings vergißt sie alle Kurzweile,
alle Spiele mit den Gefährtinnen, alle sinnigen Beschäftigungen der
stillen Jungfraueneinsamkeit. Aber ein ganzes Jahr weilt Siegfried
am Fa der Burgundenkönige, ehe er die, um die er wirbt, nur einmal
zu seyen bekommt. Er zieht aus als Kampfgenosse, gleichsam als die—
nender Mann des Königs, mit dem Heere und den Helden der Bur—
gunden zu manchem Streite, zieht hier den weiten Weg vom Rhein durch
Hessenland tief hinein in die Sachsengaue, deren Koönig Liudeger mit
Liudegast von Dänemark den Burgunden Krieg angekündigt hatte.
Im mörderischen Kampfe ist Siegfried der gewaltigste und siegreichste
der Helden: er besiegt und nimmt gefangen den Dänenkönig Liudegast,
und vor des Helden Übermacht ergiebt sich Liudeger mit seinen Sachsen.
Die Boten kommen vom Heere nach dem Rhein, den fröhlichen Sieg
zu verkünden, und einen derselben läßt man auch vor Kriemhild er
scheinen, wissend oder ahnend, daß auch ihr Herz nicht daheim zu Worms,
daß es im Sachsenkriege sei. „Nun sage mir liebe Botschaft,“ spricht
Kriemhild, „ich gebe dir all mein Gold und will dir, sagst du wahre
Kunde, lebenslang hold sein.“ „Niemand ist herrlicher zu Ernst und
Streit geritten, edle Königin, als der Gast aus Niederland; den höchsten
Streit, den ersten und den letzten, den hat die Siegfriedshand bestanden.
Die Geiseln, die Ihr werdet kommen sehen aus Sachsen an den Rhein,
die hat seine Heldenkraft bezwungen und hierher gesandt.“ — Zehn Mark
Goldes und reiche Kleider heißt die Königsjungfrau dem willkommenen
Boten geben für die Botschaft, die allen lieb, niemandem aber lieber
war als der still erglühenden Jungfrau. Seitdem steht sie schweigsam
am engen Fenster des Königsbaues, hinausschauend auf den Heerweg,
von dannen die Sieger heimkehren sollten an den Rhein. Endlich er—
scheint das siegesfrohe Ritterheer, und die Jungfrau sieht das fröhliche
Getümmel vor den Pforten der Burg auf dem weiten Plan am Rheine,
und unter den vielen Helden ihn, den Helden aller Helden, geehri, be—
wundert wie keinen; aber noch immer können seine Augen die Ersehnte