Athen nach dem Peloponnesischen Krieg. 45
daß alle geistige Gewandtheit ohne sittliche Festigkeit keinen Wert
habe, ja sogar schädlich wirken könne. -^Er suchte daher das durch
die verderbliche Tätigkeit der Sophisten verwirrte und fast schon
erstickte sittliche Bewußtsein seiner Mitbürger wieder zu wecken und
zu kräftigen und ihnen den Spitzfindigkeiten und dem Scheinwissen
der Sophisten gegenüber den Wert eines natürlichen Verstandes und
rechtlichen Sinnes klar zu machen. Zu diesem Zweck gesellte er sich
auf Straßen, Plätzen, in Säulenhallen und Werkstätten zu einzelnen
und mehreren Personen und ließ sich mit ihnen in ein Gespräch ein,
indem er gewöhnlich mit dem Nächstliegenden uud ganz Alltäglichen
begann und unmerklich aus die höchsten und dem Menschen wert-
vollsten Fragen überleitete, immer fragend und antwortend, so daß
er nie seinen Zuhörern einen zusammenhängenden Vortrag hielt.
sondern sie vielmehr unter seiner Leitung die Wahrheit selbst finden
ließ. Sokrates bildete also keine Schulen wie die bezahlten Sophisten.
die ganze Bevölkerung. Athens war vielmehr seine Schule, die er
sittlich zu heben suchte.' Indem er dies unentgeltlich tat, beschämte
er ebenso die Gewinnsucht der Sophisten, als er durch seine edle
Aufrichtigkeit und Bescheidenheit ihren Hochmut auf ihr hohles Wissen
demütigte. Trotzdem Svkrates mithin der entschiedenste Gegner der
Sophisten war, faßte ihn die urteilslose Menge selbst als Vertreter
der Sophistik auf. Ihren verderblichen Einwirkungen schrieb man
das Unglück Athens im Peloponnesischen Krieg und unter der dar-
ausfolgenden Gewaltherrschaft vornehmlich zu. In dem auf den
Sturz der Dreißig eintretenden Rückschlag wurde nun auch So-
krates angeklagt, „er suche neue Götter einzuführen, glaube an
die vom Staate verehrten nicht und verderbe die Jugend". Der
Freimut und die Furchtlosigkeit, womit sich Sokrates verteidigte,
brachte die Empfindlichkeit der Richter gegen ihn auf, so daß er
dazu verurteilt wurde durch Gift zu sterben. Mit der Ruhe
des reinen Gewissens und dem Starkmut des Weisen tröstete er seine
weinenden Freunde und trank den Schierlingssast 399 v. Chr. Die @Dtmteg + 399.
Athener erkannten bald ihr Unrecht, bereuten ihre Tat und bestraften
die Ankläger des Sokrates.
Von seinen Schülern und Freunden sind die bedeutendsten der
mit dichterischem Schönheitssinn begabte Philosoph Platon, der ^laton-
uns das meiste von den Lehren des Sokrates erhalten hat, und der
Geschichtschreiber Xenophon. Der größte Philosoph der späteren seno^tm.
(mazedonischen) Zeit war Aristoteles aus Stagira.