Full text: Altdeutsches Lesebuch

B. Epos. 2. Parzival. 
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Entschuhten seine blanken Beine 
Und zogen mit geschwinder Hand 
155 Bon seinem Leibe das Gewand. 
Kaum sahn die Jungherrn, daß 
er schließ 
So stellten sie die Kerzen tief 
Auf den Teppich für die Nacht 
Und huschten aus der Türe sacht. 
160 Doch Parzival lag nicht allein: 
Sein Schlafgeselle war die Pein 
Voll harter Mühsal, Drang und 
Streit. 
Im Schlafe sandte kommend Leid 
Seine Boten ihm voraus. 
165 Ihn übermannte gleicher Graus, 
Wie seine Mutter er bedroht. 
Im Traum nach Gahmuretens Tod 
Mit Schwerterhieben war der 
Traum 
Ringsum gesteppt an seinem Saum, 
170 Dazu mit manchem Lanzenstich. 
Von Anprall wild und fürchterlich 
Litt er im Schlafe solche Not: 
Er wollt' im Wachen wohl den Tod 
Lieber dulden dreißigfach. 
175 So überhäuft ihn Ungemach, 
Bis er vor Angst und Kümmer¬ 
nissen 
Entsetzt emporfnhr aus den Kissen; 
Ihm schwitzten Adern und Gebein. 
Durchs Fenster brach der Tag 
herein. 
180 Er sprach: „Wo sind die Knaben, 
Die mir zu dienen haben? 
Noch keiner hier? Wer bringt 
mein Kleid? 
Er wartet' ihrer lange Zeit, 
Bis er zum audernmal entschlief. 
185 Still blieb es; niemand sprach 
noch rief; 
Sie hielten alle sich verborgen. 
Doch endlich um den mittlern 
Morgen 
Erwacht aufs neu der junge Gast 
Und hob sich aus dem Bett in 
Hast. 
190 Sieh, auf dem Teppich nahebei 
Sein Harnisch und der Schwerter 
zwei, 
Altdeutsches Lesebuch. 4. Aufl. 
Eins, das vom Burgherrn er 
bekommen, snommen. 
Und seins, das Jtheru er ge- 
„Ach", dacht' er, „wie ist das 
gemeint? sscheint. 
Ich soll mich wappnen, wie mir 
Wie meine Nacht voll schwerer 
Pein ssal sein. 
Soll auch mein Tag voll Müh- 
Drüut meinem Wirte Kriegesnot, 
So leist' ich gerne sein Gebot, 
Und treulich kämpf' ich auch für sie, 
Die mir voll Huld den Mantel lieh. 
O dürft' ich meinen Dienst ihr 
weihn, [nein! 
Doch nicht um Minne, wahrlich 
Mein Weib, die Königin ist doch 
So schön wie sie und schöner 
noch." — 
Da es nicht anders konnte sein, 
So wappnet er sich ganz allein 
Von Kopf zu Fuß und schnallt 
zum Streite 
Die beiden Schwerter au die Seite. 
Sein Roß er an der Treppe fand, 
Wo's unten angebunden stand; 
Daneben lehnte Speer und Schild. 
Zu reiten war er nicht gewillt. 
Da er noch durch die Zimmer lief 
Und suchend nach den Leuten rief, 
Niemand zu hören noch zu sehn! 
Er läuft zum Hof, umherzuspähn, 
Wo er am Abend abgestiegen. 
Er sieht das Gras zertreten liegen, 
Den Tau von Füßen abgestreift. 
Indem ihn Heller Zorn ergreift, 
Kehrt er zu seinem Roß im Lauf 
Und springt mit lautem Schelten 
auf. 
Die Pforte sieht er weit erschlossen; 
Dadurch geht breite Spur pon 
Rossen. 
Was frommt's, daß er noch weile? 
Er spornt sein Roß zur Eile, 
Daß unter ihm die Brücke hallt. 
Die zückt aus einem Hinterhalt 
Ein Knecht empor mit jähem 
Schall, 
Daß fast seinRenner kommtzuFall. 
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