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B. Die Reichsverwaltung.
1. Der Reichskanzler.
Der Reichskanzler ist der vom Kaiser ernannte oberste Reichsbeamte. Er führt
im Bundesrate den Vorsitz, leitet die Geschäfte desselben und vermittelt den Verkehr des
Bundesrates mit dem Reichstage. Er ist verantwortlich für die Erlasse des Kaisers,
die er gegenzeichnet und sie damit erst gültig macht. Dadurch, daß auf ihm das Recht
der Gegenzeichnung und die Verantwortlichkeit ruht, nimmt er die Stellung
eines konstitutionellen Ministers, und zwar des einzigen im Reiche, ein. Diese Ver-
antwortlichkeit hat er sowohl dem Kaiser, als auch dem Reichstage gegenüber. Bei
allen Regierungsmaßnahmen, selbst bei der Ernennung der Beamten muß der Kaiser
mit den: Reichskanzler übereinstimmen; ist das nicht der Fall und will der Kaiser
dennoch an seinem Vorhaben festhalten, so bleibt ihm nur übrig, den Reichskanzler zu
entlassen und einen neuen zu ernennen. Umgekehrt bleibt auch dem Kanzler nur übrig,
seine Entlassung zu fordern, wenn er die Kaiserliche Genehmigung zu einem von ihm
als notwendig erkannlen Schritte nicht erlangen kann. Er überwacht im Namen des
Kaisers die Ausführung der Reichsgesetze und leitet alle Angelegenheiten des Reiches.
Er bezieht ein Einkommen von 100000 M., einschließlich 64000 M. Repräsentations¬
kosten sowie freie Dienstwohnung.
2. Die Reichsämter.
Die Fülle der dem Reichskanzler obliegenden Geschäfte machte eine Teilung der-
selben in besondere Reichsämter nötig. An der Spitze eines jeden Reichsamtes steht
als Stellvertreter des Reichskanzlers ein Staatssekretär.
Den Verkehr des Reichskanzlers mit den Chefs der einzelnen Ressorts vermittelt
die Reichskanzlei.
Folgende Reichsämter stehen unter dem Reichskanzler:
1. Das auswärtige Amt. Es besorgt die Angelegenheiten des deutschen Reiches
mit dem Auslande, das Gesandtschafts- und Konsulatswesen. Die diploma-
tischen Vertreter des Reiches im Auslande, die zur Vermittelung des völkerrechtlichen
Verkehrs zwischen Staat und Staat dienen, heißen je nach ihrem Range und ihrer
Stellung Botschafter (z. B. in Frankreich, Großbritannien), Gesandte (z. B. in
Bulgarien, in den Niederlanden, in Portugal) und Ministerresidenten (z. B. in
Siam, Chile, Peru). Sie werden vom Kaiser ernannt, stehen unter seiner Aufsicht und
werden von ihm mit einem Beglaubigungsschreiben versehen, auf Grund dessen sie das
Recht haben, Amtshandlungen im Namen des Reiches ^vorzunehmen.
Die Konsuln dagegen haben die Aufgabe, die Interessen des Reiches und seiner
Angehörigen im Auslande namentlich in Bezug auf Handel, Verkehr und Schiffahrt zu
schützen und zu fördern, die Beobachtung der Handelsverträge zu überwachen und den
Reichsangehörigen im Auslande Rat und Beistand zu gewähren. Man unterscheidet
Berufs-und Wahlkonsuln, je nachdem der Konsul von seinem Heimatland als dessen
besoldeter Beamter in das fremde Staatsgebiet entsendet oder ob er aus den Staats¬
angehörigen des Auslandes, in der Regel aus Kaufleuten, erwählt und mit Wahr-
nehmung der Konsulatsgeschäfte beauftragt worden ist. Der Reichskonsul führt über die
seiner Amtsgewalt unterworfenen deutschen Reichsangehörigen ein Verzeichnis, Matrikel
genannt und ist in seinem Bezirk als Zivilstandesbeamter und als Notar tätig. Er ist