Ergebnisse der mittelalterlichen Entwicklung.
81
fortwährenden Schismen und die gegenseitige Verfolgung mit dem
Kirchenbanne hatte ihnen vielfach die Ehrfurcht der Gläubigen ent¬
fremdet. Die Menge der Abgaben, die nach Italien flössen, verstimmte
die Deutschen. Die „Reform an Haupt und Gliedern" war mißlungen
(S.74). Aber überhaupt war man vielfach irre geworden an der
mittelalterlichen Lehre, die dadurch alles in den Bann der Kirche
zu ziehen suchte, daß sie diese ganze schöne, von Gott geschaffene
Welt als Hemmnis der Seligkeit betrachten lehrte und Ertötung jeder
Erdenfreude durch Erfüllung der von der Kirche vorgeschriebenen Kastei¬
ungen, Fasten- und Gebetsbußen als einzige Rettung hinstellte. Sah
man doch manche der Geistlichen und Mönche diese Weltflucht nur sehr
wenig befolgen, und standen doch manchem der Erzbischöfe und Bischöfe
„Schwert und Helm besser an als Mitra und Krummstab", während
viele der niederen Geistlichen nicht selten in Nichtsthun, Unwissenheit
und Wohlleben aufgingen. Mahnte doch ferner das wiedererwachte
Studium der griechischen und römischen Schriftsteller („Re¬
naissance^, auf dessen Übertragung ins Abendland die Einnahme Kon¬
stantinopels durch die Türken (1453) ganz besonders wirkte (S. 76),
vielmehr dazu, sich nicht bloß mit den himmlischen, sondern auch mit
den menschlichen Dingen zu beschäftigen („Humanismus", „Humanisten"),
die Natur, die Geschichte und das Leben der Menschen zu studieren.
Und war es doch endlich, seit 1440 Johann Gutenberg in Mainz seine
beweglichen, zusammenstellbaren Metalllettern erfunden hatte, möglich,
diese Schriften und überhaupt die Gedanken kluger Leute in kurzer
Zeit für wenig Geld überallhin zu verbreiten.
So war denn vielfach die innere Frömmigkeit geschwunden,
und an deren Stelle war bei vielen Abneigung gegen jede Religion getreten,
bei anderen eine große Äußerlichkeit in der Auffassung ihres Verhält¬
nisses zu Gott. So bei Thomas Platter* der als Student an freien
Nachmittagen in die Kirche zu gehen pflegte, die Zahl der Gebete, die
er zu verrichten hatte, wie eine Schuld in Strichen an den Kirchen¬
stuhl schrieb und nun anhnb zu beten, wobei er nach jedem Gebet
einen Strich auswischte. Und Seelenruhe fanden, die es ernst
meinten, bei solchem Gottesdienst doch nicht.
* Dieser Mann, der es vom Hirtenbüblein bis zum Schulrektor in Basel
gebracht hat, hat uns sein Leben selbst beschrieben: ein Beispiel für das Leben eines
fahrenden Schülers jener Zeit.
Meiners, Leitfaden d. Geschichte.
6